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50 Jahre RAF «Die wollte nur ihren Freund aus dem Gefängnis holen»

Es war der Urknall der Roten Armee Fraktion. Die Befreiung des Brandstifters Andreas Baader am 14. Mai 1970 gilt als Geburtsstunde einer Terrorgruppe, die die Bundesrepublik Deutschland fast 30 Jahre lang in Atem halten sollte. So geplant war das damals nicht, sagt der Journalist Michael Sontheimer.

Michael Sontheimer

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Michael Sontheimer war Mitbegründer der «taz». Seit 1995 arbeitet er als Redakteur des «Spiegel».

SRF: 68er-Bewegung, Vietnamkrieg, die Jugend- und Studentenunruhen: Die Rote Armee Fraktion entstand in einer unruhigen Zeit. Inwiefern passt das in diesen zeitlichen Kontext?

Michael Sontheimer: Ich würde die RAF als eines der vielen Zerfallsprodukte dieser internationalen Studenten- und Jugendbewegung beschreiben.

Nachdem diese Bewegung 1968 Dutzende von Ländern ergriffen hatte, ging es 1969 bergab, und in einer Art Verzweiflungstat hat 1970 eine kleine Gruppe von Westberliner Linken diese Gruppe gebildet, die bald Rote Armee Fraktion hiess.

In Deutschland wurden die Proteste durch die Erschiessung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizisten angeheizt, später auch durch den rechtsextremen Angriff auf Rudi Dutschke. War das der Auslöser für die Radikalisierung dieser Bewegung?

Ganz ohne Frage. Es ist überliefert, dass Gudrun Ensslin, eine der RAF-Gründerinnen, nach der Erschiessung von Benno Ohnesorg sagte: «Das ist die Generation von Auschwitz, mit denen kann man nicht reden. Wir müssen uns bewaffnen.»

Hinter der Gründung der Roten Armee Fraktion lag die Folie des Nationalsozialismus. Wichtig zu wissen ist aber auch: Weder die Studenten noch die 68er haben als Erste geschossen, sondern erst ein Polizist und dann ein Rechtsextremer. Erst drei Jahre nach den ersten Schüssen auf diesen Studenten wurde die Rote Armee Fraktion gegründet.

Wenn man sich Geschichte anschaut, sind die Kausalitäten wichtig. Der Versuch, die RAF zu gründen, war natürlich politisch und moralisch überhaupt nicht in Ordnung. Aber so wird verständlich, dass Leute sich so radikalisieren konnten.

Dann hat man sich gesagt: Man setzt ein Zeichen und Kaufhäuser in Brand. Andreas Baader gehörte zu den Brandstiftern. Er wurde verurteilt, konnte sich einer Verhaftung entziehen, wurde dann doch geschnappt und später gewaltsam befreit. Diese Befreiung gilt heute als Beginn der Ära. In einem Artikel im Spiegel schreiben Sie aber, die Gruppe sei eher zufällig entstanden. Warum?

Die Gruppe hiess ja damals noch gar nicht RAF. Der Name wurde von der Gruppe erst ein Jahr später verwendet. Das war damals eine namenlose Gruppe, zusammengestellt von Gudrun Ensslin, der Freundin von Andreas Baader.

Und die wollte nur ihren Freund aus dem Gefängnis holen. Es war nicht geplant, dass jemand angeschossen wird. Aber dann wurde die ganze Gruppe sofort wegen Mordversuchs zur Fahndung ausgeschrieben.

Von daher war der Zeitpunkt, zu dem diese Gruppe aktiv wurde, eher zufällig. Aber dass sich die RAF in der Bundesrepublik gründete, war kein Zufall. Auch in den USA, Grossbritannien, in Frankreich und vor allem Italien mit den Roten Brigaden entstanden zu dieser Zeit solche bewaffneten linksradikalen Gruppen.

Zufällig war der Zeitpunkt und dass ein Mensch, weil er eine Pistole verwechselt hatte, einen anderen Menschen anschoss. So bekam das eine Dynamik, die nicht geplant war.

Das Gespräch führte Silvan Zemp.

Sendung: SRF 4 News, Nachrichten ; 

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