«Wenn Sie im Zweifel sind über ein neues Kleid, eine neue Figur, ein neues Gesicht, eine neue Beschäftigung oder einen neuen Lebensausblick – kommen Sie zu uns. Wir werden nicht versagen. ‹Annabelle› ist jung und kühn.»
Dies das Vorwort der damaligen Chefredaktorin Mabel Zuppinger. Es ist März 1938: Die erste Frauenzeitschrift im deutschsprachigen Raum, «Annabelle», kommt auf den Markt.
Zu einem wirklich kühnen Magazin avanciert die «Annabelle» in den Anfangsjahren nicht – der Zweite Weltkrieg kommt dazwischen.
Tipps für die neue Hausfrau
Ihre Blütezeit erlebt die Zeitschrift erst in den 1950er- und 60er-Jahren. Die neue Konsumwelt stellt das Leben der Mittelstandsfrau auf den Kopf. Die Zeitschrift «Annabelle» kommt gerade recht.
Die Zeitschrift habe ihren Leserinnen Orientierung und praktische Lebenshilfe geboten, sagt Mariana Christen Jakob. Die emeritierte Professorin für soziale Innovation hat zur Geschichte der «Annabelle» geforscht.
«Das bürgerliche Frauenbild der modernen attraktiven Frau, die den Haushalt schmeisst, die Kinder erzieht und eine Rückzugsbastion für den Mann bietet – das hat es früher nicht gegeben», so Christen Jakob.
Das neue Frauenbild stehe in engem Zusammenhang mit dem Wirtschaftswunder. «Es war eine Verunsicherung da. So wurde in allen Lebensfragen, die ‹Annabelle› beigezogen», meint die Professorin.
Konservativ kommt an
Die «Annabelle» liefert Antworten auf Fragen wie: Wie verhalte ich mich gegenüber Ehemann und Kindern? Wie repräsentiere ich mich und meine Familie? Was soll ich kochen und wie richte ich die Leckereien am besten an? Tipps für die ideale Hausfrau also.
Weibliche Selbstbestimmung ist in diesen Jahren kein Thema, im Gegenteil: 1959 spricht sich Chefredaktorin Mabel Zuppinger gar dezidiert gegen ein Frauenwahlrecht aus.
Bei den Leserinnen kommt dieses konservative Frauenbild anscheinend gut an. Zeitweise liest jede sechste Frau in der Schweiz die «Annabelle».
«Annabelle» – das Facebook von damals
Regelmässig wenden sich die Leserinnen in Briefen an die Zeitschrift und bitten die «liebe Freundin» oder die «liebe Annabelle» um Rat. «Die Zeitschrift hat es geschafft, die Frauen mit einem ‹Community-Aspekt› anzusprechen – ähnlich wie Facebook heute.»
Es sei eine eingeschworene Gemeinde gewesen, so Mariana Christen Jakob. «Vergleichbare Phänomene in den 50er- und 60er-Jahren sind mir nicht bekannt.»
Doch spätestens Ende der 60er-Jahre ist es mit dem Phänomen der «Annabelle» vorbei. Die Zeitschrift steckt in der Krise.
Kein Wunder: Das Bild vom Heimchen am Herd steht im krassen Gegensatz zu den Feministinnen, die auf die Strasse gehen und für gleiche Rechte kämpfen.
Emanzipierte Freundin
Notgedrungen passt sich die «Annabelle» an. Die Zeitschrift greift politische und sogar sexuelle Themen auf.
Dieses breite Spektrum hat sie bis heute beibehalten, sagt Mariana Christen Jakob: «Die ‹Annabelle› hat sich so positioniert, dass sie ein grosses Publikum anspricht – unter anderem hat die Zeitschrift eine gesellschaftspolitische Dimension.»
So unterscheide sich die «Annabelle» von anderen Titeln, die sich ausschliesslich auf Mode und Kosmetik fokussieren.
«Annabelle» und die Frauenquote
Die «Annabelle» hat mit ihren politischen Stellungnahmen in den letzten Jahren für Aufmerksamkeit gesorgt: 2006 lanciert sie eine Petition für ein nationales Waffenregister, die in einer Volksinitiative mündet. 2012 startet sie eine Kampagne für eine Frauenquote in Führungspositionen.
Immer wieder stellt die Zeitschrift gängige Schönheitsideale infrage: «Annabelle» zeigt auf ihrem Cover die damals 51-jährige Schauspielerin Esther Gemsch – nackt.
Gleichzeitig dreht sich in der «Annabelle» vieles um die konventionellen Themen in Frauenzeitschriften: Wie hält Lippenstift besonders lang? Welches sind die neuen Frühlingsfarben? Und, ja: Auch in der «Annabelle» gibt es die obligaten Diättipps.
Eine Mischung aus anspruchsvollen und eher banalen Inhalten – die sich allerdings längst nicht mehr an das Heimchen am Herd richtet.
Aus dem Archiv: Der Hausfrauenwettbewerb
Am 7. Juni 1967 lancierte die Zeitschrift «Annabelle» den Wettbewerb «Donna Ideale». Gesucht wurde die perfekte Hausfrau. Rund 2000 Frauen bewarben sich um den Titel. Fünf Frauen aus Bern, Luzern, St. Gallen, Zürich und Bern traten schlussendlich zum Finale an.
Sendung: Radio SRF 2, Kultur-Aktualität, 01.03.18, 17.10 Uhr