Dieser gefasste Blick aus blassblauen Augen. Der Mann blinzelt kaum. Als ob ein Lidschlag seine Konzentration stören könnte. Auf kein Thema, auf keine Frage scheint ihm die Antwort zu fehlen. Auch nach 80 Jahren wirkt er kein bisschen lebenssatt.
Eugen Drewermann ist ein Phänomen. Dazu gehört auch, dass er sich seinen Lebensthemen so verschrieben hat. Noch beim 30. Mal, wenn er Dostojewskis «Schuld und Sühne» nacherzählt, bricht die Stimme weg.
Der Theologe bekommt auf YouTube tausende Klicks. In den Kommentaren schreiben die User «Eugen Drewermann bringt mich zum Weinen». Das erstaunt nicht wenig.
1992 wurde Eugen Drewermann aus dem Priesterstand suspendiert. Ein Jahr zuvor wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen. Der Liebesentzug seitens der römisch-katholischen Amtskirche wurde früh mit Zuspruch aus dem Kirchenvolk kompensiert.
Aber was bietet der Paderborner Asket an, der noch heute ohne Computer, Kühlschrank und Telefon auskommt? Drewermann selber sagt, er wolle, dass die Menschen sich selbst verstehen in der Botschaft, die er ihnen von Jesus vermittle. «Dass eine Güte sie begleitet durch alle Ungeheuerlichkeit, die ihnen im Leben widerfahren mag.»
Grundvertrauen in das Gute im Menschen
In seinen Reden und Büchern geht es Drewermann immer wieder um den Einzelnen, um dessen Nöte und Ängste. Seine Grundüberzeugung, dass jede und jeder «etwas unersetzbar Wertvolles» sei, durchzieht sein Denken und Sprechen. Es sei ihm das Allerwichtigste, dass sich die Menschen bei ihm akzeptiert fühlen, sagt er.
Drewermann hat ein Grundvertrauen ins Gute im Menschen – trotz entsetzlicher Straftaten und des durch Menschen angerichteten Wirrwarrs. «Ich habe noch nie erlebt, dass ein Mensch wirklich böse ist oder Böses will», erklärt er.
Deshalb hadert Drewermann eher mit dem gesellschaftlichen und strafrechtlichen Umgang mit Tätern. Er betont, dass man nicht die Tat, sondern den Menschen und seine Nöte im Blick haben müsse. Erst wenn man sich dem Täter auf diese Weise annehme, die Tat akzeptiere, könne sich etwas verändern.
Der Theologe räumt aber auch ein, dass ihm dies nur im Glauben daran gelinge, «dass im Hintergrund ein Licht leuchtet, das ins Dunkel scheint». Würde er den Menschen ohne seinen eigenen Glauben sehen, fehlte ihm angesichts der Schrecken der Welt die Luft zum Atmen.
«Dass ich noch lebe, ist der reine Zufall»
Diese Ansichten beeindrucken speziell deshalb, weil Eugen Drewermann während des Zweiten Weltkrieges aufwuchs. Seine Kindheit war geprägt von Bunkeraufenthalten und Bombenangriffen der Alliierten Luftwaffe. Die waren so immens, dass Bergkamen – das Dorf, in dem Drewermann aufwuchs – nach dem Krieg zu 80 Prozent zerstört war.
«Dass ich noch lebe, ist der reine Zufall», erzählt er. In dieser unmittelbaren Nähe zum Tod habe er gelernt, dass man auf nichts im Leben einen Anspruch hat. «Es hat keinen Sinn, die Hände um etwas zu schliessen und zu sagen: ‹Das ist mein›.» Dass wir sind, was wir sind, sei ein Geschenk, welches wir weder verdient noch erarbeitet haben.
Keine Angst vor dem Tod
Was heisst das in Bezug auf das Sterben? Mit diesem natürlichen Prozess hat er sich längst schon versöhnt. Drewermann meint, der Tod breche nicht unser Leben ab. «Er öffnet nur die Tür, in ein Licht, auf das wir zugehen und uns im Rückblick zeigt, wer wir eigentlich hätten sein sollen.»
Zum Schluss also doch die schmerzhafte Läuterung? «Selbst der Schmerz des Bedauerns ist ein Reifungsprozess ins Licht hinein. Eine Versöhnung mit allen Menschen», sagt Drewermann.
Deshalb kann er mit aller Gelassenheit sagen: «Ich habe keine Angst vor dem Tod.»