Songs und Filme, die in den 20 Jahren nach den Atomabwürfen auf Hiroshima (6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945) entstanden, spiegeln die ganze Bandbreite menschlicher Reaktionen wider: Schock, Naivität, Spott – und den Tanz auf dem Vulkan.
Schon kurz nach 1945 entstanden in den USA Songs, die das Undenkbare in tanzbare Rhythmen kleideten: «When They Drop the Atomic Bomb», «Atomic Cocktail», «Atom and Evil» oder «Uranium Rock» – von Big Band bis Rockabilly war alles vertreten.
Elvis, der Strahlende – und «Atomic chic»
Die Bombe wurde mit ironischer Begeisterung gefeiert – als Symbol einer neuen Ära. 1956 wurde Elvis Presley in Las Vegas als «Atomic Powered Singer» angekündigt.
Der Begriff «atomic» wurde zur Chiffre für Modernität, Coolness und technologischen Fortschritt. Wer in ein Branchenbuch von Manhattan aus dem Jahr 1947 blickt, stösst auf skurrile Firmennamen: «Atomic Radio Service», «Atomic Shoes», «Atomic Sportwear». Der nukleare Schrecken wurde zur Marke – und die Popkultur formte daraus ein Versprechen von Geschwindigkeit, Energie und Zukunft. Doch so einfach liess sich die Realität nicht vertreiben.
Science-Fiction als Selbstversuch
Während die Musik blendend und makaber unterhielt, schockierte das Kino. Die Science-Fiction der 1950er-Jahre war mehr als blosse Unterhaltung – sie inszenierte eine Simulation des Unaussprechlichen. In einer Ära des Schweigens, der Geheimhaltung und strategischen Zweideutigkeit wurden Filme zu Projektionsflächen verdrängter Ängste.
In Don Siegels «Die Dämonischen» (Invasion of the Body Snatchers, 1956) verwandeln sich Mitmenschen in seelenlose Doppelgänger – ein paranoider Thriller über Identitätsverlust und ideologische Gleichschaltung. Der Film wurde vielfach als Allegorie auf den Kommunismus gelesen, aber auch als Spiegelbild der McCarthy-Ära: Jeder kann der Andere sein – und jeder könnte dich verraten.
Mutanten greifen an
Noch drastischer formuliert der Film «Them!» (1954) seine Warnung. Riesige, durch radioaktive Strahlung mutierte Ameisen zerstören die amerikanische Wüste – eine groteske Metapher für die entfesselten Kräfte menschlichen Fortschritts. Die atomare Mutation wird zur Chiffre für Kontrollverlust und irreversible Veränderung. «Them!» gilt bis heute als einer der klügsten Monsterfilme – nicht wegen seiner Spezialeffekte, sondern wegen seiner unterschwelligen Angstlogik.
Die amerikanische Kulturkritikerin Susan Sontag deutete diese Filme in ihrem Essay «The Imagination of Disaster» (1965) als kollektive Strategie zur Bewältigung tiefer Ängste. Sie schrieb: «Science-Fiction-Filme handeln nicht von Wissenschaft. Sie handeln von Katastrophe – einem der ältesten Themen der Kunst. Sie spiegeln eine tiefe Unzufriedenheit mit der Gesellschaft, eine Angst vor der Zukunft, ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber einer mechanischen und unmenschlichen Welt.»
Monster, Mutationen und Invasionen sind – Sontag zufolge – keine blossen Film-Sensationen, sondern Projektionsflächen für verdrängte Ängste: vor Technologie, Atomkrieg, sexueller Entgrenzung oder kommunistischer Unterwanderung. Die Katastrophe wird inszeniert, um sie zumindest symbolisch zu durchleben – oder um zu erahnen, wie sie sich anfühlen könnte.
Zwischen Verdrängung und Offenbarung
Während Hollywood das Grauen in Bilder bannte, hüllte sich die Musik in Ironie. Viele Songs der 1950er-Jahre wirken heute befremdlich leichtfüssig – und sind doch ernsthafte Zeitdokumente. Der Song «Thirteen Women (and Only One Man in Town)» erzählt von einem Mann, der einen Atomkrieg überlebt und sich plötzlich in einer Welt voller Frauen wiederfindet.
Was wie ein frivoler Männertraum beginnt, entpuppt sich als grotesker Ausnahmezustand: Überleben erscheint nicht als Hoffnung, sondern als surreale Abweichung vom Normalen. Die kulturelle Reaktion auf das atomare Zeitalter war gespalten: Ironie traf auf Endzeitvision, Verdrängung auf Offenbarung. Die Popkultur versuchte nicht, die Bombe zu erklären – sie wollte sie erfahrbar machen.
Moral statt Ironie?
Heute, 80 Jahre nach Hiroshima, ist die Bombe zurück – aber ohne Beat, ohne schrille Plattencover, ohne Soundtrack zum Atompilz. Die atomare Bedrohung hat ihre popkulturelle Oberfläche verloren. Sie ist zurückgekehrt in den Diskurs der Geopolitik, in Strategiepapiere und düstere Prognosen.
Russlands Präsident Wladimir Putin spricht offen über taktische Nuklearwaffen. Der Iran steht kurz vor waffenfähigem Uran. Israel denkt laut über Präventivschläge nach – auch mit nuklearen Mitteln. Der Nahe Osten droht zum nächsten atomaren Krisenherd zu werden.
Atomgefahr, global
Im Unterschied zum Kalten Krieg fehlen heute klare Blöcke, verlässliche Gegenspieler, stabile Abschreckungssysteme. Die Welt ist fragmentiert, unübersichtlich, technologisch unberechenbar.
Atomwaffen sind längst kein exklusives Werkzeug der Supermächte mehr – sie sind Teil eines diffusen, gefährlichen Flickenteppichs aus Nationalismen, Aufrüstung und Abschreckung.
Damals Leichtfertigkeit, heute Stille
Die Popkultur der 1950er- und 1960er-Jahre war nicht naiv. Sie war überfordert. Und sie tat, was Menschen immer tun, wenn Worte fehlen: Sie sang, sie tanzte, sie erfand Monster. Sie blickte durch eine rosarote Brille aufs Atomzeitalter, verwandelte Angst in Ironie, Trauma in Trend.
Heute ist diese vermeintliche Leichtigkeit verschwunden. Es gibt keine ironischen Atom-Songs mehr, keine strahlenden Elvis-Figuren, keine Science-Fiction-Ameisen, die unser Grauen in Metaphern verpacken.
Die Angst vor der Atombombe ist nie verschwunden – sie hat nur ein neues Szenario bekommen. Und das steht dem des Kalten Krieges in nichts nach. Zudem wissen wir heute zu viel: über Fallout, Leukämie, verstrahlte Landschaften, genetische Spätfolgen. Und vielleicht spüren wir längst, dass es diesmal keine Melodie mehr gibt, die uns die wieder möglich gewordene Apokalypse vergessen lässt.