Ein Sonntagabend, kurz vor Halloween. Die Sender von CBS Radio Network kündigen die neue Literatursendung von Orson Welles an. Regisseur Welles, damals 23-jährig, hat sich etwas Besonderes ausgedacht: Er erzählt den Science-Fiction-Klassiker «The War Of The Worlds» nicht einfach nach, er verpackt ihn in das akustische Gewand einer Live-Reportage.
Die Sendung, getarnt als Konzertübertragung aus dem Ballsaal eines New Yorker Hotels, beginnt ganz harmlos, mit Tanzmusik.
Landung von Marsmenschen
Doch dann wartet Welles mit einer Kaskade von dringlichen Newsbulletins auf, die den Eindruck erweckten, auf einer Farm in New Jersey seien Marsmenschen gelandet. Und setzen Menschen, Wälder, Automobile in Brand. Ein vermeintlicher Reporter berichtet direkt vom Ort des Geschehens.
Das Hörspiel ist Kult geworden. Jahrzehnte lang galt es als Paradebeispiel für die unheimliche Wirkungskraft der Massenmedien. Zum Teil bis heute.
Wirkungskraft der Massenmedien
Orson Welles, heisst es, hat seine Show derart gut gemacht, dass es zu einer Massenpanik gekommen ist. Menschen flohen in ihren Autos. Holten ihre Gasmasken hervor. Weil sie dem jungen Medium Radio angeblich blind vertrauten.
Doch diese Massenhysterie gab es nicht. Längst ist sie als Mythos entlarvt. Orson Welles nutzte «Fake News» als Stilmittel, um sein Hörspiel noch realistischer zu gestalten.
Mythos Massenpanik
Die «wahren» Fake-News kamen jedoch von angesehenen Zeitungen wie der «New York Times», die damals prominent von einer Massenhysterie berichtete.
Dass der Mythos entlarvt wurde ist vor allem das Verdienst von A. Brad Schwartz. Vor einigen Jahren stiess der Historiker auf 1400 Briefe, die Orson Welles nach der Ausstrahlung der Sendung von Hörern erhalten hatte. «Ich war erstaunt, wie positiv die Hörer-Reaktionen ausgefallen sind.
Es gab viel Lob für die Sendung. Von Panik keine Spur. Nicht die vermeintlichen Marsmenschen beschäftigte viele Hörer», erzählt Schwartz.
Was die Leute beschäftigte, war die Macht der Medien. Und wie diese Macht das Land, die Gesellschaft verändern würde. Es war die Angst vor einer «leicht zu verdummenden Öffentlichkeit».
Aussagen sind immer noch relevant
Und hier sieht der Historiker auch die Parallelen zur Gegenwart. «Man kann in den Briefen von 1938 das Wort «Radio» durch «Internet» oder «Social Media» ersetzen – und die Aussagen sind immer noch relevant», erklärt Schwartz.
Seine Erkenntnisse publizierte der Historiker vor drei Jahren im Buch «Broadcast Hysteria: Orson Welles's War of the Worlds and the Art of Fake News». Und jetzt – zum 80. Jahrestag des Hörspiels – will er die 1400 Briefe digitalisieren lassen – und sie Schulen als Lehrmaterial zur Verfügung stellen.
«Krieg der Welten» lehrt uns auch heute noch, skeptischer zu sein. Skeptischer gegenüber alarmistischen Botschaften, die uns über Medien erreichen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 30. Oktober 2018, 06.50 Uhr