Checkout im Einkaufszentrum. Der Ton eines Barcode-Scanners ist Begleitmusik zu einem ganz gewöhnlichen australischen Alltag. Delise Freeman zieht ihre Waren durch den Laserstrahl. Geschäftsanzug, leicht getönte Hautfarbe, nach hinten gebundenes Haar, eine Brille.
Die Mitvierzigerin verschwindet in der Masse der Menschen, die nach der Arbeit noch schnell einkaufen. Doch eigentlich ist Delise Freeman ganz anders, besonders sogar. Sie gehört zur ältesten überlebenden Kultur der Welt. Sie steht auf dem Land, das ihre Vorfahren schon seit Zehntausenden von Jahren bewohnen.
Klischees ohne Ende
«Man muss nicht dunkel sein, um Aboriginal zu sein», sagt sie. Freeman ist Chefin einer Aboriginal-Organisation in der Kleinstadt Goulburn, rund zwei Stunden südlich von Sydney. Hier organisiert sie Hilfe für Bedürftige in der Ureinwohner-Gemeinde und steht jenen, die im Alltag nicht zurechtkommen, mit Rat und Tat zur Seite.
Entgegen einer weit verbreiteten Meinung wohnen die meisten Aborigines nicht im roten «Outback» oder im Urwald, sondern in Städten. Die Mehrheit der ersten Australier lebt fast genauso wie Nicht-Indigene.
Sie jagen nicht mit Speer und Bumerang, sagt Freeman. «Das ist genauso ein stereotypisches Bild wie das, wonach alle Aborigines nackt mit Lendenschurz durch die Gegend wandern würden».
Oder ganz dunkle oder sogar schwarze Haut haben.
Scham und Angst
Zwei Jahrhunderte der Vermischung mit Menschen anderer ethnischer Herkunft (siehe Kasten) haben dazu geführt, dass viele australische Ureinwohner äusserlich nicht immer als solche zu erkennen sind.
Viele Betroffene würden erst heute ihre indigenen Wurzeln entdecken, so Freeman. Einige, weil ihre Eltern ihre Vergangenheit vor ihnen versteckt hatten, aus Scham, aus Angst. Andere, weil sie sie verdrängt hatten.
Für solche Menschen gäbe es keinen Test, mit dem sie auf ihre Herkunft geprüft werden. Denn die Herkunft, die Verwandtschaft, sie beruht bei Aborigines auf Erzählungen. «Sie kommen dann zu uns, nehmen an kulturellen Anlässen teil. So werden sie langsam von den anderen als einer der ihren akzeptiert», meint Freeman.
Neue Erfahrung, altes Leid
Mit der Identifizierung als Ureinwohner kommt auch eine Erfahrung, von der sie zuvor als hellhäutige Menschen verschont geblieben sind: Neid. «Weisse Australier glauben, Aborigines würden vieles erhalten, das sie selbst nicht bekommen.»
Sozialhilfe, kostenlose Medikamente, sogar Autos. «Das stimmt schlichtweg nicht». Ureinwohner sind pro Kopf sogar schlechter versorgt als die Bevölkerungsmehrheit, was Gesundheit, Ausbildung und wirtschaftliche Möglichkeiten angeht.
Trotzdem hält sich der Mythos des «verwöhnten Aboriginal‘» – nicht zuletzt wegen einschlägiger Medienberichte.
Rassismus seit Jahrhunderten
Für Delise Freeman besteht kein Zweifel, dass Rassismus ein grosse Rolle spielt bei dieser Wahrnehmung. Rassenhass sei Alltag für viele Ureinwohner – seit 1788.
Hoffnung, dass sich das bald ändern wird, hat sie wenig. Rassismus springe von einer Generation zur nächsten. Wenn Freeman in Schulklassen von ihrer Herkunft erzählt, stellten «selbst kleine Kinder Fragen, die nur von Erwachsenen kommen können».
Fragen, beladen mit Vorurteilen, durchsetzt mit Ignoranz.