Unter jungen Studierenden an der Universität in der neukaledonischen Hauptstadt Nouméa wird die Unabhängigkeitsfrage kontrovers diskutiert. Im kommenden November stimmt die Insel darüber ab, ob sie weiterhin zu Frankreich gehören will.
Unabhängigkeit trotz wirtschaftlicher Nachteile
Die 21-jährige Vaimiti hat kanakische Wurzeln, gehört also zur unterprivilegierten Urbevölkerung Neukaledoniens. Sie ist für die Unabhängigkeit.
Dabei ist ihr klar, dass es der Insel wirtschaftlich schlechter gehen würde. «Unabhängigkeit bedeutet nicht, dass wir keine Beziehung mehr hätten zu Frankreich. Aber für die Entwicklung unseres Landes ist die Unabhängigkeit fundamental.»
Ganz anders sieht das Camille. Sie ist 23 und kommt aus Frankreich. «Bei einem Ja zur Unabhängigkeit gibt es eine Misere. Frankreich ist für Neukaledonien wirtschaftlich ein Segen.»
Ferienparadies mit wenig Touristen
Frankreich lässt sich seine Südsee-Insel umgerechnet rund 1,5 Milliarden Franken jährlich kosten. Staatsangestellte werden mit hohen Lohnzuschüssen auf die weit abgelegene Insel gelockt.
Aber Neukaledonien ist nicht nur wegen der künstlich erhöhten Löhne interessant. Auch die atemberaubende Natur lockt. Ein Korallenriff von 1500 Kilometer Länge umschliesst die Insel und bildet die grösste Lagune der Welt: 24'000 Quadratkilometer gross.
Das ist ein wahres Paradies für wohlhabende Tauch- und Segel-Liebhaber. Und Botaniker finden auf der Insel Pflanzenarten, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt.
Aber der Tourismus ist verhältnismässig wenig entwickelt. Zu weit abgelegen ist Neukaledonien. Die grossen Herkunftsländer in Europa sind rund 20 Flugstunden entfernt.
Auch aus Japan dauert ein Flug über 8 Stunden, nur Australien liegt mit 3 Stunden näher.
Nickel als wertvolles Gut
Eine wichtige Einnahmequelle der Insel ist traditionellerweise Nickel. Dieses chemische Element wird zum Härten von Stahl verwendet oder als Korrosionsschutz.
Neukaledonien ist der fünftwichtigste Lieferant von Nickel weltweit und das wird auch als Argument eingesetzt in den Diskussionen über die Zukunft.
In den Händen der Einheimischen
Vor rund zehn Jahren wurde in der Nordprovinz, wo mehrheitlich Kanaken leben, eine neue Nickelfabrik gebaut – mit Geld des Schweizer Rohstoffhändlers Glencore.
Die Fabrik muss gemäss den gültigen Verträgen immer zur Mehrheit in kanakischem Eigentum sein. Dieses Projekt soll im grossen Stil Arbeitsplätze schaffen im Norden der Insel und die Urbevölkerung an die Hebel der Macht führen.
Folgen der Unabhängigkeit
Denn wenn am 4. November eine Mehrheit Ja sagt zur Unabhängigkeit von Frankreich, werden die kanakischen Bevölkerungsschichten sehr bald in der Verantwortung sein.
Aber eine allfällige Unabhängigkeit würde eine wirtschaftliche Schwächung bedeuten. Dessen sind sich die Unabhängigkeitsbefürworter gewiss.
Der Generalsekretär der Separatistenpartei «Union Calédonienne», Gérard Regnier, rechnet mit einer Einbusse beim Bruttosozialprodukt von rund 30 Prozent.
Betont respektvoll
Frankreichs Präsident Macron zeigte sich bei seinem Besuch in Neukaledonien Anfang Mai sehr respektvoll der Urbevölkerung gegenüber.
Er brachte als Gastgeschenk jenes Dokument aus französischen Archiven mit, in dem 1853 die Inbesitznahme Neukaledoniens durch Kaiser Napoléon den Dritten festgehalten wurde.
Deutlicher konnte Macron wohl nicht zeigen, dass er bereit wäre, Neukaledonien in die Unabhängigkeit ziehen zu lassen.