Die Länder Liechtenstein, Nordirland, Andorra, Malta und San Marino verbinden zwei Sachen: Sie liegen alle in Europa und haben eine weitgehend römisch-katholische Prägung. Und sie haben die strengsten Abtreibungsverbote Europas.
Irland liberalisiert Abtreibung
Das Referendum in Irland und der Parlamentsentscheid in Argentinien hat das Thema Abtreibung in Erinnerung gerufen.
Viele verbinden die Debatte eher mit dem Geschichtsbuch, schliesslich haben schon die 1968er für eine selbstbestimmte Mutterschaft gekämpft.
1971 sorgte die deutsche Frauenrechtlerin Alice Schwarzer für Aufsehen, weil sie Frauen auf die Titelseite des «Stern» brachte – mit dem Bekenntnis: «Wir haben abgetrieben!» Die Debatte gewann in den 1970er-Jahren an Fahrt mit dem Slogan «Mein Bauch gehört mir!».
Abtreibung in Chur und St. Gallen
Doch wer sich umschaut in Europa, der entdeckt auch gegenläufige Tendenzen. Zum einen versuchen konservative Kräfte und sogenannte Lebensschützer, bestehende Fristenlösungen wieder abzuschaffen. Zum anderem gibt es nach wie vor Länder mit einem verhältnismässig restriktivem Abtreibungsrecht.
So erlaubt Polen einen Schwangerschaftsabbruch nur, wenn die Gesundheit der Mutter gefährdet ist, das Kind eine Krankheit hat oder die Mutter vergewaltigt wurde. Auch in Liechtenstein ist die Abtreibung verboten.
Und damit kommt die Schweiz ins Spiel: Frauen aus Liechtenstein, die abtreiben wollen, setzen sich ins Auto und fahren nach Chur, St. Gallen oder nach Feldkirch in Österreich, um Gynäkologen aufzusuchen.
Erbprinz droht mit Vetorecht
«Mein Bauch gehört dem Fürsten und der Kirche»: So ähnlich könnte die Situation in Liechtenstein zusammengefasst werden. Das Fürstenhaus und die römisch-katholische Kirche haben das kleine Land an der Grenze zu St. Gallen und Graubünden mit den knapp 40'000 Einwohnern geprägt.
Zwar ist der Einfluss der Kirche zurückgegangen – nicht zuletzt, seit Wolfgang Haas 1997 Erzbischof von Vaduz wurde. Er war einst Bischof in Chur, sorgte dort aber für Skandale und galt als untragbar – und wurde dann nach Liechtenstein weggelobt.
Doch der Fürst hat ein Veto über die Gesetzgebung – und blockiert eine Liberalisierung des Abtreibungsverbots.
Heikles Thema
Wie heikel das Thema Schwangerschaftsabbruch in Liechtenstein ist, merkt man daran, dass sich niemand dazu äussern will. Die Regierung schaffte es innert zwei Wochen nicht, einen Gesprächspartner für SRF aufzutreiben. Der Erzbischof verweigert den Medien grundsätzlich ein Interview.
Die Oppositionspolitikerin Helen Konzett wundert das nicht. Sie hat 2011 die Volksabstimmung «Hilfe statt Strafe» lanciert. Ziel war es, die Frauen in Liechtenstein nicht mehr zu kriminalisieren. Helen Konzett erhielt viel Rückenwind, aber auch Anfeindungen.
«Bigottes Liechtenstein »
Immerhin erzielte sie einen Achtungserfolg: Das Referendum fiel mit 52 zu 48 Prozent nur knapp zugunsten der Konservativen aus. Doch Helen Konzett ist sich sicher: Hätte der Erbprinz nicht mit einem Veto gedroht, wären mehr Menschen zur Wahl gegangen.
Viele Abtreibungsgegner hätten die Wahl boykottiert – weil sie wussten, dass ihre Stimme ohnehin nutzlos war.
Helen Konzett empfindet die Situation in Liechtenstein als «bigott». Sie spricht auch von einer «Doppelmoral», schliesslich wisse jeder: Abtreibungen liessen sich nicht verhindern.
Statt die Angebote für junge Familien und Alleinerziehende zu verbessern, überlasse Liechtenstein lieber den Gynäkologen in der Schweiz und in Österreich die Arbeit.
Kritik kommt auch von der UNO
Die Diskussion in Irland und in Argentinien sei in Liechtenstein kaum wahrgenommen worden, berichtet Helen Konzett. Sie rechnet nicht damit, dass das Thema Abtreibung bald nochmals auf die politische Agenda kommt. Schliesslich sei das Fürstliche Haus bisher nicht bereit, aufs Veto zu verzichten.
Trotzdem kann sich Liechtenstein der politischen Diskussion nicht entziehen. Immer wieder muss sich das Fürstentum von der UNO vorhalten lassen, ein wichtiges Frauenrecht zu verweigern. Am 5. Juli muss der Botschafter von Liechtenstein bei der UNO in Genf antraben und sich der Kritik stellen.
Status Quo bleibt wohl erstmal
Aber der UNO-Menschenrechtsrat kann nur ermahnen, nicht in die Gesetze eingreifen. Das kann nur die Regierung mit dem Segen des Fürsten.
Und da der bei seiner harten Haltung bleibt, ändern sich zwar die Abtreibungsgesetze in Irland und Argentinien, aber nicht hier um die Ecke, im Fürstentum Liechtenstein.
Sendung: Kultur Kompakt, 13.6.2018, 11.29 Uhr