«Wieso dürfen eigentlich Erwachsene bestimmen, was Kinder in der Schule machen müssen?» Diese Frage von Youseif ist ernst gemeint. Der 11-jährige Loïc weiss eine Antwort: «Weil die Erwachsenen das Recht dazu haben. Sie haben uns erschaffen.»
Die beiden Jungs und zwei weitere Kinder aus einer 5. Klasse bei Bern diskutieren gerade über Adultismus. Den Begriff kennen sie nicht. Für das Konzept dahinter, sind sie aber Experten.
Adultismus beschreibt die Diskriminierung von jüngeren Menschen durch ältere. Und nicht nur Loïc weiss, wovon er spricht. Viele Jugendliche kennen das Phänomen. Etwa dann, wenn sie für eine klimafreundlichere Welt auf die Strasse gehen und von den Erwachsenen als naiv oder unwissend belächelt werden.
Nicht ernst genommen
Fast jeder Mensch hat selbst als Kind die Erfahrung gemacht, nicht ernst genommen oder sogar bevormundet zu werden. Bekannt ist aber weder der Fachbegriff noch gibt es ein breites Bewusstsein für dieses Phänomen.
Keine Sprache, keine Beachtung
Das wäre aber wichtig. Denn Adultismus hat negative Folgen: Kinder lernen dadurch, dass ihre Stimme weniger zählt. Sie tolerieren diese Unterdrückung und wiederholen sie dann bei jüngeren Kindern.
«Adultismus kommt im gleichen Masse vor wie Sexismus oder Rassismus», sagt Andi Geu, Ko-Geschäftsführer des National Coalition Building Institute Schweiz (NCBI). Der gemeinnützige Verein setzt sich für den Abbau von Vorurteilen, Rassismus und Diskriminierung ein.
Bei vielen Erwachsenen rege sich Widerstand bei diesem Thema. «Hinderlich an der Debatte ist auch, dass sich Adultismus so leicht rechtfertigen lässt», findet Geu.
Müssen Erwachsene alles entscheiden?
Manchmal sei es richtig, dass Erwachsene entscheiden, finden Loïc und seine Kollegen. Denn sie alle erzählen auch von Entscheidungen, die über ihre Köpfe hinweg getroffen wurden.
«Es bräuchte ein Artikel im Schweizer Gesetz, dass Eltern den Kindern mindestens zuhören müssen», findet Youseif. Seine Mitschülerin Tigsti findet, auch wichtige Entscheidungsträger sollten den Kindern zuhören: «Würden sie mit uns unter vier Augen sprechen, dann hätte das mehr Wirkung.»
Aller Anfang ist Zuhören
Eine eigene politische Bewegung für ihre Ideen haben Kinder aber nicht. «Wie bei anderen Emanzipationsbewegungen würden Verbündete helfen», sagt André Geu. Das heikle Unterfangen: Zugänge schaffen, ohne dabei paternalistisch zu sein.
Neben der gesetzlichen Ebene kann Adultismus aber auch im Alltag überwunden werden. Das Zuhören sei der Anfang, so Geu. «Jung bedeutet nicht unerfahren oder unvernünftig.»
Die Schule der Zukunft
«Dürften wir entscheiden, würde das Chaos ausbrechen», findet Tigsti. Fragt man die Berner Schüler aber nach konkreten Ideen, zeigen sich Kreativität, Lust und Weitsicht.
Für Tigsti stünde mehr Sport auf dem Programm und Youseif wünscht sich Chemieexperimente. Loïc findet, es brauche kleinere Klassen: «Dann haben die Kinder mehr Platz. Das ist wichtig.»
Und auch der 11-jährige Len schlägt mit mehr Fernunterricht strukturelle Veränderungen vor. Da könne er seine Zeit selbst einteilen: «Das Schlimmste ist nämlich, wenn mich jemand zu etwas zwingt.»
Damit spricht er sich nicht nur für eine andere Schulform aus, sondern auch für mehr Freiheit und Selbstbestimmung.