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Gesellschaft & Religion Agent Orange – das Gift, das unendliches Leid brachte

40 Jahre seit dem Ende des Vietnamkriegs – doch der US-Einsatz von Agent Orange wirkt noch immer nach. Fehlbildungen und Immunschwächen sind die bekanntesten Folgen des Entlaubungsmittels. Tagelöhner van Bong ist nur eines von 3 Millionen Opfern, dessen Familientragödie dem Gift zuzuschreiben ist.

Wir sind im Dorf Tan Hiep, in der Provinz Quang Tri. Nguyen van Bong, geboren 1962, ist Tagelöhner. Er erzählt, wie rund ums Dorf gekämpft wurde und wie er manchmal mithelfen musste, gefallene Amerikaner wegzutragen.

Familientragödie dank vergifteter Fische

«Wir lebten mehr oder weniger eingeschlossen. Nachts gingen wir heimlich raus und holten im Fluss die Fische, die als Folge des Sprühnebels zu Hunderten tot auf der Oberfläche trieben. Zu Hause assen wir sie.» So gelangte das Erbgut schädigende Dioxin TCDD in die Nahrungskette. Und so gelangte es in den Organismus von Nguyen van Bong.

Nguyen van Bong ist Vater von zwei schwer cerebral gelähmten Töchtern – die Folge der mit Agent Orange vergifteten Fische. Die zwei Kinder, beide über 30, liegen nebeneinander auf einer Pritsche. Ihre Sprache haben sie verloren. Die Mutter, Tran Thi Gai, sitzt neben ihnen auf den Holzbrettern. Schwach und kaum fähig zu sprechen. Die jahrzehntelange Pflege der Kinder hat ihr die Kräfte geraubt, sie herzkrank gemacht.

Skrupellose Kriegstaktik

Im August 1961 versprühte die amerikanische Luftwaffe auf Geheiss von Präsident John F. Kennedy erstmals Pflanzenvernichtungsmittel über den Wäldern Südvietnams. Ziel war die Entlaubung, um dem Feind die Deckung zu rauben, sowie die Zerstörung der Reisfelder. Die Nahrungsgrundlagen des Gegners sollten vernichtet werden.

Das US-Militär setzte etwa ein Dutzend verschiedene Herbizide ein. Die Fässer mit Agent Orange waren orange gekennzeichnet, daher der Name. Die Chemikalien wurden vor allem von den US-Firmen Monsanto sowie von Dow Chemical hergestellt, einem Gemeinschaftsunternehmen von Monsanto und der deutschen Bayer AG.

Keine schlafenden Hunde wecken

Auch ein anderes deutsches Unternehmen mischte mit. 1967 produzierte das Chemie- und Pharmaunternehmen Boehringer in seinem Herbizidwerk bei Hamburg 720 Tonnen einer Lauge, die zur Herstellung von Agent Orange diente. Geliefert wurde an die Firma Dow Chemical, die das Gift der US-Armee verkaufte.

Das im Agent Orange enthaltene Dioxin TCDD ist bereits 1956 vom Deutschen Wilhelm Sandermann entdeckt worden. 1957 gelang die Synthetisierung und TCDD wurde als «Supergift» eingestuft. Später schrieb Sandermann, er habe den Eindruck, dass man in den USA über das TCDD in Agent Orange informiert gewesen sei, aber keine schlafenden Hunde wecken wollte und deshalb schwieg.

Vorsätzlich Menschen vergiftet

Zwei Männer sitzen auf einem Sofa. Einer hält dem anderen ein Mikrofon hin.
Legende: Der US-Veteran Chuck Palazzo (links) im Interview mit Peter Jaeggi. Roland Schmid

Trotz aller Warnungen – auch von namhaften amerikanischen Wissenschaftlern – wurde bis 1971 weiter gesprüht. US-Veteran Chuck Palazzo, der heute in Da Nang lebt und damals dabei war, erinnert sich: «Uns sagte man, die Flugzeuge versprühen ein Mittel gegen Moskitos. Anfänglich glaubten wir dies, da sehr viele von uns an Malaria und Dengue-Fieber erkrankten.»

Dass die in Agent Orange enthaltene Dioxinverbindung hochgiftig ist, wusste man im deutschen Chemiewerk Boehringer in Ingelheim spätestens 1956. Dies belegt ein Dokument vom Oktober jenes Jahres. Die Information wurde jedoch auf Geheiss von Firmenchef Boehringer geheim gehalten. Dass Dioxin gefährlich ist, belegten zudem zahlreiche Krankheiten von Arbeitern bei verschiedenen Herstellern. So verursachte bereits 1953 ein Dioxin-Unfall bei der deutschen BASF bei 42 Arbeitern schwere Hauterkrankungen.

Drei Nachkriegsgenerationen mit Missbildungen

Insgesamt wirft die US-Luftwaffe etwa 72 Millionen Liter Entlaubungsmittel über den Urwäldern und Reisfeldern Vietnams ab, darunter Agent Orange. Dabei hätte den Amerikanern selbst ohne Warnungen von aussen bereits nach den ersten Sprühflügen auffallen müssen, dass neben den Pflanzen auch Tiere und Menschen unter der Chemikalie leiden. In Teichen und Bächen verendeten unzählige Fische, wie Nguyen van Bong zu Beginn dieser Geschichte erzählt.

Dioxin wird für weit über hundert Krankheiten verantwortlich gemacht. Es schädigt das Erbgut und führt zu Missbildungen, etwa zu fehlenden Gliedern und Gaumenspalten. Heute gibt es bereits drei Nachkriegsgenerationen mit Missbildungen.

3 Millionen Opfer in Vietnam

Über wie viele Generationen das Genom geschädigt werden kann, weiss man heute noch nicht. Dioxin ist auch stark krebserregend, erzeugt Diabetes, Parkinson, psychische Schäden, Immunschwäche, die zum Tod auch bei relativ harmlosen Krankheiten führen kann.

Schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen kamen mit Agent Orange in Berührung. Vietnamesische Behörden reden von bis zu drei Millionen Agent Orange-Opfern, die heute noch leiden. Dazu kommen rund 200‘000 Angehörige der US-Streitkräfte, die bei der Veteranenbehörde als Agent-Orange-Opfer registriert sind.

Noch immer im Nahrungskreislauf

Der Chemiewaffeneinsatz verursachte irreparable Schäden in Ökosystemen Vietnams. Mehr als fünf Millionen Hektar Wald und eine halbe Million Hektar Ackerland wurden zerstört. Es wird Jahrhunderte dauern, bis sich die Natur vom Gift erholt. Das Dioxin TCDD befindet sich teilweise bis heute im Nahrungskreislauf der vietnamesischen Bevölkerung. Der Regierung Vietnams fehlt das Geld für grossflächige Reinigungen.

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