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Gesellschaft & Religion Alfred Bodenheimer: «Es ist kompliziert, Gott zu sein!»

Alfred Bodenheimer ist Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel und Krimiautor. Beim Krimi-Schreiben fühlt er sich manchmal wie Gott. Ein Gefühl der Freiheit mit Tücken.

Sie sind Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel und Krimiautor. Wie bringt man diese zwei sehr unterschiedlichen Bereiche zusammen?

Alfred Bodenheimer: Das literarische Schreiben ist mir eine Art Kür neben der Pflicht. Für mich fühlt sich das literarische Schreiben wie ein Ausgleichssport an – vergleichbar mit dem Bergsteigen, einfach im literarischen Sinne. Die Arbeit mit Texten fasziniert mich sehr und es besteht gar kein so grosser Unterschied zwischen dem literarischen Schreiben und dem wissenschaftlichen Arbeiten.

Als Krimiautor schaffen Sie eine fiktive Welt, machen Ihre Figuren zu Mördern und feilen an den dunklen Seiten des Menschen. Fühlen Sie sich in dieser Rolle nicht manchmal auch wie ein «grausamer Gott»?

Den Begriff «grausamer Gott» erachte ich als sehr problematisch. Denn tatsächlich ist es so, dass der vermeintlich grausame Gott – etwa in der Opferungsgeschichte von Isaak – in der Holocaust-Literatur sogar konträr interpretiert wurde. Die Verbindung ihres Schicksals mit biblischen Vorbildern gab vielen Menschen existenziellen Halt und Hoffnung, weil sie sich mit Isaak identifizierten.

Ihre Metapher vom Autor als Gott aber ist tatsächlich zutreffend: Man hat eine enorme Freiheit und kann Figuren auf dem Schachbrett der eigenen Gedanken herumfahren. Gleichzeitig aber merkt man, wie schwierig es ist, seiner eigenen Schöpfung Herr zu bleiben und wie kompliziert es ist, Gott zu sein.

Der erste Roman ihrer Krimitrilogie nennt sich Kains Opfer. Könnte man Kain den Prototyp einer Mörderfigur nennen?

In allen meinen Büchern ist es so, dass die Morde aus Unfähigkeit entstehen, grosse Probleme besprechen zu können. Ein Unvermögen, Dinge auf eine normale Weise zu lösen, so dass sie am Ende durch eine Gewalttat zu tilgen versucht werden. Die Konstellationen schaffen den Mörder.

Dies ist tatsächlich auch spannend in Bezug auf den biblischen Brudermord, der Geschichte von Kain und Abel. In der hebräischen Überlieferungsform der Bibel steht nämlich: «Und Kain sprach zu Abel:» Hier müsste zwingend die direkte Rede folgen, doch es kommt nichts mehr, etwas wird nicht ausgesprochen, das Gespräch versiegt aufgrund der Unfähigkeit zum weiteren Diskurs. Und im nächsten Moment gehen die Brüder aufs Feld und Kain erschlägt Abel. Die Sprache scheiterte also und schlug in Gewalttätigkeit um.

Gibt es Parallelen zwischen dem Bibellesen und dem Krimilesen?

Ich denke ja, zum Beispiel die ganze Geschichte mit König Saul und David ist für mich rein vom literarischen Spannungsaufbau extrem interessant. Das spannende am Bibellesen mit jüdischem Zugang ist aber sicherlich auch, dass jeder Buchstabe eine Bedeutung hat und kein Buchstabe zu viel oder zu wenig dasteht. Deshalb kann man über jedem einzelnen Wort und jeder Buchstabensetzung brüten und sich fragen, weshalb genau dies und nicht etwas anderes steht.

Einen Text so zu lesen, bedeutet auch, ihn vollkommen zu durchdringen, und ich verstehe dies durchaus als eine Form der Kriminologie der Lektüre.

Die Krimiliteratur boomt momentan sehr stark. Können Sie sich erklären, weshalb das so ist? Was fasziniert uns an Krimis?

Ich persönlich lese ja kaum Krimis. Aber weshalb sich die Menschen in der Gegenwart so stark für Krimis interessieren, erkläre ich mir damit, dass die Welt extrem unübersichtlich geworden ist.

Wir verstehen kaum mehr, was in unserem nächsten Umfeld, aber dann vor allem auch das, was auf dem weltpolitischen Parkett geschieht. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass die Struktur und Stringenz, die einem Krimi vorliegt, eine Anziehung auf den Menschen ausübt, weil es eine Art Verschnaufpause darstellt.

In einem Krimi kann man sich mit Dingen konfrontieren, die einem im richtigen Leben um den Verstand bringen würden, also ist es auch eine spezielle Form der Flucht.

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