Wer im Westen den Islam kritisiere, gelte schnell als muslimfeindlich, schreibt Ralph Ghadban in der Einleitung seines Buches. Dabei sei die konstruktive Kritik an der eigenen Religion auch in der muslimischen Welt weit verbreitet – besonders seit dem arabischen Frühling.
Mit seinem Buch «Allahs mutige Kritiker. Die unterdrückte Wahrheit über den Islam» will Ralph Ghadban diese innerislamische Religionskritik einem westlichen Publikum näherbringen.
Die Wissenschaft war im Islam zentral
Die rationale Kritik an der eigenen Religion hat im Islam eine lange Geschichte. Ralph Ghadban beschreibt, wie zentral die Wissenschaft und das rationale Denken in den ersten Jahrhunderten des Islams war. Griechische Werke wurden ins Arabische übersetzt, ein Haus der Weisheit gegründet.
Doch dann sei dieser offene Geist verloren gegangen, schreibt Ralph Ghadban. Der Koran, vor allem aber die Sunna –die Erzählungen vom Leben Mohammeds – seien sakralisiert worden. Die Kritik damit verunmöglicht.
Islamische Vorgeschichte als Fake News?
Bei der Sunna ortet Ralph Ghadban das Hauptproblem. Seine These lautet: Die Frühgeschichte des Islams und damit eben auch die Sunna basiere nicht auf historischen Fakten. Sie sei vielmehr konstruiert worden. Der Autor stellt damit ein zentrales Element des muslimischen Glaubens in Frage.
Denn neben dem Koran ist die Sunna mit vielen Aussagen Mohammeds eine wichtige Grundlage für den Islam. Ralph Ghadban beschreibt, wie die Entstehung der Sunna schon früh und wiederholt kritisiert worden sei. Die sogenannten Koranisten lehnten die Sunna gar vollständig ab. «In der neuen Islamkritik findet diese radikale Haltung heute breite Zustimmung», schreibt Ralph Ghadban.
Thesen halten der Überprüfung nicht stand
Dem widerspricht Islamwissenschaftler Reinhard Schulze. Tatsächlich erhalte die Kritik am Islam in der muslimischen Welt seit dem arabischen Frühling mehr Aufmerksamkeit. Die Koranisten seien dabei aber eine kleine Minderheit mit wenig Einfluss.
Und: Die These von der erfundenen Frühgeschichte und der konstruierten Sunna sei alt und wissenschaftlich überholt. Wieso also wärmt sie Ralph Ghadban wieder auf?
Kampf gegen den politischen Islam
Der Autor hat eine Mission: den Kampf gegen den politischen Islam. Diesen attestiert er auch den muslimischen Islamkritikerinnen und -kritikern. «Sie wollen den Islam neu erfinden», schreibt er. Indem sie die muslimische Frühgeschichte in Frage stellen und auf einen vernunftbasierten Umgang mit islamischen Quellen pochen.
Letzteres ist nicht neu. Die historisch-kritische Methode im Umgang mit dem Islam ist gerade an westlichen Hochschulen die Regel. Ralph Ghadban zeigt nun, dass es dieses Bemühen auch in der muslimischen Welt gibt.
Ein wichtiger Beitrag, denn die Kritik am Islam in der muslimischen Welt dürfte im Westen tatsächlich nur wenigen bekannt sein. Die Schwäche des Buches ist, dass der Autor die Fundamentalkritik, etwa an der Sunna, als zu bedeutend und die Geschichte tendenziös darstellt – und damit eine Chance vergibt.