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Amerika im Aargau Wie der Einkaufskoloss von Spreitenbach die Gemüter spaltete

Gelobt und kritisiert: Ein Rückblick auf das Shoppingcenter Spreitenbach, eines der ersten Schweizer Shoppingcenter.

Zwei Etagen, 50 Geschäfte, 700 Angestellte, 1600 Parkplätze – und ein flacher Einkaufskoloss: Vor rund 50 Jahren eröffnete eines der ersten Einkaufszentren der Schweiz. Im März 1970 strömten die Leute in Spreitenbach in das «grösste und modernste» Shoppingcenter der Schweiz.

Bereits Monate vor der Eröffnung wurde in den Tageszeitungen eine Kampagne gestartet. «Wir bauen ein Paradies», hiess es da.

Der Parkplatz und das Shopping-Center von Spreitenbach, aufgenommen am 22. April 1970.
Legende: Vorbild USA: Um das Shoppingcenter in Spreitenbach reiht sich ein Auto an das andere, wie eine Aufnahme vom April 1970 zeigt. KEYSTONE / Ruedi Rohr

Die Idee für dieses Shoppingcenter hatte der Detailhandelspionier Karl Schweri. Geplant hat es Walter Hunziker. Ein Architekt, der in Zürich sein Architekturstudium begonnen und es in Atlanta (USA) abgeschlossen hatte.

Ein Anruf, ein Auftrag

Heute ist Walter Hunziker 91 Jahre alt. An das Projekt erinnert er sich noch gut. Es war 1961: «Mein Vater fand ein Inserat in der NZZ und meinte: Ruf an!» Gesucht war ein Architekt, der Erfahrung mit Einkaufszentren hat. Auf das Telefonat folgte ein Treffen. Danach war man sich handelseinig.

Hunziker ging ans Werk. Er organisierte eine Reise in die USA, damit Schweizer Firmenchefs die Konsum- und Freizeitwundermaschinen namens Shoppingcenter studieren konnten.

Er kümmerte sich auch um ökonomische Fragen und sammelte Daten, um ein vernünftiges Raumprogramm zu entwickeln. Dann fertigte Hunziker Skizzen an.

Kritik am Konsumtempel

Bei den Leuten stiess das Einkaufszentrum in Spreitenbach auf Gegenliebe. Anders bei den Raumplanern. Der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (VLP), heute Espace Suisse, war es ein Dorn im Auge.

50 Jahre Raumplanungsgesetz

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1969 wurde erstmals ein Raumplanungsartikel in die Bundesverfassung aufgenommen. Damit erhielt der Bund die Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung in der Raumplanung. Ziel ist der sorgfältige und haushälterische Umgang mit dem Boden.

«Wir wurden von den Stadtplanern wahnsinnig kritisiert», sagt Hunziker. «Auch in der Zeitung: Es hiess, wir würden die Innenstadt kaputtmachen.»

Der Parkplatz und das Shopping-Center von Spreitenbach, aufgenommen aus der Luft.
Legende: Gelobt und kritisiert: Das Shoppingcenter von Spreitenbach, aufgenommen im Jahr 1970. KEYSTONE / Ruedi Rohr

Trotz Kritik boomte die Idee mit den Konsumtempeln. Vier Jahre nach der Eröffnung des Shoppingcenters Spreitenbach wurde das Tivoli, ein zweites Shoppingcenter, danebengestellt.

Eltern und Jugendarbeiter zeigten sich 1979 in einer Fernsehsendung besorgt: Denn die Einkaufszentren wirkten auch auf Jugendliche wie Magnete. «Wenn ich hier bin, gebe ich viel Geld aus, sicher zwei, drei Franken», sagte ein junger Besucher damals. «Das bereue ich immer wieder. Aber ich komme trotzdem wieder hierher.»

Heute ein Durcheinander

Rückblickend äussert sich auch Hunziker kritisch. Das Shoppingcenter sei «zu sehr Einkaufszentrum und zu wenig Kultur- und Begegnungszentrum». Denn das sollten die Shoppingcenter ursprünglich auch werden. Für Victor Gruen, der als Erfinder der Shoppingcenters gilt, waren nichtkommerzielle Angebote wie Kitas oder Bibliotheken zentrale Elemente.

Hunziker hat «sein» Einkaufszentrum nach 50 Jahren zum ersten Mal wieder besucht. «Wenn man es sich so anschaut: Es ist nicht wirklich schön, es ist ein Durcheinander», sagt er.

Seit 2011 sind die beiden benachbarten Einkaufzentren Shoppi und Tivoli mit einer verglasten Mall zusammengeführt worden. Patrick Stäuble, Leiter der neuen Konsummaschine, schaut zufrieden auf die Zahlen: «Wir machen etwas über 400 Millionen Umsatz, haben etwa 4,5 Millionen Besucher und etwa 150 Geschäfte.»

Eine Bäckerei: eine Person steht vor dem Verkaufstresen.
Legende: Heute im Shoppi Spreitenbach: rund 150 Geschäfte findet man im Einkaufzentrum. imago images / Geisser

Allerdings braucht es wegen des Onlinehandels weniger Verkaufsflächen. Darum gibt es im Einkaufszentrum mehr Restaurants und Dienstleistungsangebote.

Ende November stimmt Spreitenbach über eine Teiländerung der Bau- und Nutzungsordnung ab. Diese sieht vor, dass die Einkaufs- auch eine Wohnzone wird. Mit Wohnhochhäusern, Kitas, Post und Cafés. Kurzum: Spreitenbach entscheidet, ob es neben dem Dorfkern ein urbanes Zentrum erhält.

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