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Antimuslimischer Rassismus «Ausgrenzung kann junge Muslime radikalisieren»

Die jüngste Häufung islamistisch motivierter Morde in europäischen Städten beunruhigt zutiefst. Was haben die Anschläge von Dresden, Paris, Nizza und Wien miteinander zu tun? Welche Rolle spielt der Islam bei der Radikalisierung? Und wie sollen Politik und Gesellschaft darauf reagieren?

Erziehungswissenschaftlerin Asmaa Dehbi über die Prävention von Radikalisierung und Extremismus bei jungen Menschen – und die Tragweite präziser Begrifflichkeiten in unserer Sprache.

Asmaa Dehbi

Erziehungswissenschaftlerin

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Asmaa Dehbi ist Erziehungswissenschaftlerin aus Zürich und arbeitet als Diplomassistentin am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg.

SRF: In Ihrer Masterarbeit sprechen Sie von «antimuslimischem Rassismus» in der Schweiz: Was meinen Sie damit?

Asmaa Dehbi: Es werden verschiedene Begriffe verwendet, um die Diskriminierung und Ausgrenzung von Musliminnen und Muslime in der Öffentlichkeit zu beschreiben, wie zum Beispiel Islamophobie, Muslim- oder Islamfeindlichkeit. Die Bezeichnung «antimuslimischer Rassismus» ist meiner Meinung nach deshalb vorzuziehen, weil damit besser aufgezeigt werden kann, wie eine ganze Bevölkerungsgruppe entlang von bestimmten Vorstellungen von Kultur, Religion und Herkunft als «anders» konstruiert wird.

Das Gefühl des Ausgeschlossen-Seins, der Nichtzugehörigkeit und der Frustration kann einen Effekt auf Radikalisierungsprozesse haben.

Von antimuslimischem Rassismus wird dann gesprochen, wenn Menschen bestimmte negative, «islamische» Eigenschaften zugewiesen wird, die sie von «uns Schweizern» unterscheiden und trennen. Durch diesen Prozess der Homogenisierung und Polarisierung kann die Benachteiligung von Musliminnen und Muslimen legitimiert werden, «weil sie halt einfach anders sind».

Inwiefern spielen solche Rassismus-Erfahrungen eine Rolle bei der Radikalisierung junger muslimischer Männer?

In antimuslimischen Diskursen gelten muslimische Männer häufig als sexistisch, gewalttägig, homophob, antisemitisch und demokratiefeindlich. Während für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft die Unschuldsvermutung gilt.

Diese Stereotypisierungen grenzen junge Muslime als nichtzugehörig aus. Gerade dieses Gefühl des Ausgeschlossenseins, der Nichtzugehörigkeit und der Frustration kann einen Effekt auf Radikalisierungsprozesse haben. Erfahrungen mit antimuslimischem Rassismus werden übrigens gezielt von extremistischen Gruppierungen instrumentalisiert, um ihre Opferideologien zu propagieren.

Es ist wichtig, Radikalisierungsprozesse nicht ausschliesslich und kausal auf «den Islam» zurückzuführen

Wenn das Problem des gewaltbereiten Islamismus politische, soziale und religiöse Anteile hat, was muss in diesen Bereichen getan werden?

Es ist wichtig, Radikalisierungsprozesse nicht ausschliesslich und kausal auf «den Islam» zurückzuführen. Wenn wir über Islamismus sprechen, müssen wir neben anderen sozialen Faktoren auch Rassismus- und Ungleichheitserfahrungen von Musliminnen und Muslimen ansprechen.

Staatliche Institutionen können dabei wichtige Antidiskriminierungsarbeit leisten, indem sie beispielsweise die Diskriminierung von muslimischen Jugendlichen bei der Lehrstellensuche thematisieren.

Imame, Seelsorgende und Religionslehrkräfte sollten mehr gesellschaftliche Anerkennung bekommen.

Wie können Muslime hier selbst zur Lösung des Problems beitragen? Braucht es mehr Initiative seitens der Muslime für Prävention in den eigenen Gemeinschaften?

Ich denke, dass muslimische Vereine wichtige Präventionsarbeit leisten können, indem sie den innermuslimischen Dialog fördern und solides theologisches Wissen vermitteln. Dazu gehört etwa, dass konfliktreiche Momente der Geschichte des Islams berücksichtigt und vor dem Hintergrund ihres jeweiligen historischen Kontextes betrachtet werden und dass einseitige und gewaltverherrlichende Vorstellungen von «Dschihad» dekonstruiert werden.

Auch sollte auf eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit von religiösen Betreuungspersonen wie Imamen, Seelsorgenden und Religionslehrkräften hingewirkt werden.

Sie leiten Diskussionsrunden für Jugendliche zur Prävention von Radikalisierung und Extremismus. Wie sieht diese Prävention aus?

Die Diskussionsrunden bieten ihnen einen geschützten Raum, wo sie offen über erlebte Diskriminierung und Ausschlusserfahrungen sprechen können. Gleichzeitig erhalten die Jugendlichen die Möglichkeit, sich über vielfältige religiöse Deutungen auszutauschen, einseitige Positionen zu hinterfragen und Opferideologien zu problematisieren. Radikalisierung und Diskriminierung sind zwei Seiten derselben Medaille.

Das Gespräch führten Christine Schulthess und Amira Hafner-Al Jabaji.

Sternstunde Religion, 15.11.2020, SRF 1, 10.00 Uhr ; 

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