Der deutsche Rapper Chefket, eigentlich bekannt als kultureller Brückenbauer, sieht sich Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt. Satiriker Jan Böhmermann strich dessen Auftritt deshalb kurzerhand aus dem Programm seiner Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt – und löste damit eine Debatte über Meinungsfreiheit aus. Was steckt hinter der «Causa Chefket»? Kulturjournalist Tobi Müller ordnet ein.
SRF: Wo ist Chefket anhand seiner Songtexte zu verorten?
Tobi Müller: Auf keinen Fall dort, wo ein Grossteil des Hip-Hops zu verorten ist: im Frauenhass, im Hass auf andere Kulturen oder in der Verherrlichung von männlichem, toxischem Verhalten. Natürlich ist eine gewisse Maskulinität vorhanden. Er singt aber immer wieder über die Gleichberechtigung oder das Nebeneinander von Koran, Bibel und Judentum. Es ist eine deutlich vermittelnde Instanz, die sonst ziemlich selten ist in diesem Geschäft.
Auslöser für diese Absage sind Videos, in denen Chefket ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Palestine», also «Palästina» trägt. Kritiker sagen, das sei als Israel-Hass einzustufen. Wie sehen Sie das?
Das ist zumindest der vordergründige Auslöser. Aber: Das Online-Medium «Nius», gegründet vom ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, fährt – wie andere Titel des Springer-Verlags – seit Längerem eine Kampagne gegen Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, den Intendanten des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin. Dort hätte das Konzert stattfinden sollen.
Der Aufdruck «Palestine» oder «Pro Palestine» genügt vielen in Deutschland schon, um als Antisemit zu gelten. Allerdings stimmt es, dass in diesen Instagram-Reels Umrisse zu sehen sind, inklusive der besetzten Gebiete, die dort arabisch angeschrieben sind. Das kann man so oder so interpretieren. Ob man damit gleich das Existenzrecht Israels infrage stellt, ist eine andere Frage.
Das Konzert hätte am 7. Oktober stattfinden sollen, ein sehr sensibler Tag. Die Veranstalter rund um Böhmermann begründen die Absage mit Rücksicht auf Stimmen aus der jüdischen Community. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Nein. Es weiss niemand, wie gross der Druck wirklich war. Natürlich ist es ein sehr sensibler Tag: Am 7. Oktober jährt sich der Überfall der Hamas auf ein Musikfestival und auf verschiedene Kibbuze; es gab über 1000 Tote, 250 Verschleppte. Vielleicht hätte man an diesem Datum besser etwas ganz anderes ins Rahmenprogramm setzen sollen: etwa ein Gespräch zwischen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und dem Ausstellungsmacher Jan Böhmermann über die Meinungsfreiheit in Deutschland. Das ist tatsächlich geplant, aber für den 8. Oktober und nicht zu dem Thema. So etwas hätte ich eher am 7. gemacht, auch wenn von Chefket keine antisemitischen Äusserungen zu erwarten gewesen waren.
Was bedeutet dieser Fall für den Umgang mit Kunst, Meinungsfreiheit und Antisemitismusvorwürfen in Deutschland?
Ärgerlich ist, dass Weimer über das Stöckchen von journalistisch sehr zweifelhaften Artikel von «Nius» und Co., auch von der Bild-Zeitung, gesprungen ist, die einfach nicht sauber gemacht worden sind. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland deswegen nicht gleich gestorben. Das glaube ich nicht.
Auch wenn es mittlerweile sehr schwer ist, die Solidarität mit Palästinensern auszudrücken, ohne gleich als Antisemit zu gelten. Der Antisemitismus ist definitiv nicht bei Chefket zu verorten – auch nicht beim Haus der Kulturen der Welt. Es wäre sinnvoller, sich Ziele auszusuchen, bei denen es sich auch lohnt, genauer hinzuschauen.
Das Gespräch führte Simon Burri.