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Aus Angst vor Angriff In der Nato-Frontstadt Vardø werden alte Bunker reaktiviert

Über Jahrzehnte kamen sich Norweger und Russen im hohen Norden schrittweise näher. Putins Angriffskrieg in der Ukraine hat dies verändert: Das Tauwetter in der Arktis ist vorbei.

Richtig warm wird es nie im windigen Städtchen Vardø auf der gleichnamigen Insel im norwegischen Teil der Barentsee. Auch im Sommer steigt hier die Durchschnittstemperatur kaum über zehn Grad. Ein enger und langer Unterwassertunnel verbindet Vardø mit dem norwegischen Festland. Nur wenige Kilometer draussen im Meer verläuft die Territorialgrenze zum grössten Land der Welt: Russland – und das schon seit dem 14. Jahrhundert.

Menschen in einem verschneiten Dorf.
Legende: Schnee und eine scheinbar unendliche Weite: Spitzbergen mit seiner Hauptstadt Longyearbyen. Bruno Kaufmann

Diese besondere Lage prägt das Leben in der Stadt, sagt Bürgermeister Ørjan Jensen: «Wir waren und sind ein wichtiger Handelsplatz zwischen Ost und West, von hier gehen und kommen Schiffe in Richtung Osten nach Murmansk und Arkangelsk.»

Aber Vardø mit seinem 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist nicht nur als Ort der Begegnung und des Austausches wichtig, sondern auch als Frontstadt der Nato zu Russland, wie Jensen betont:  «Wir sind hier sehr stolz darüber, seit über 700 Jahren die Ostgrenze Norwegens zu sichern und zur Nato-Verteidigung beitragen zu können».

Russische Luftwaffe übt Angriffe auf Radaranlage

Das hat einen Preis: Denn seit den 1980er Jahren haben die USA mitten in Vardø vier grosse Radaranlagen errichtet, ohne dass die Bevölkerung genau weiss, welche Funktion diese Anlagen eigentlich haben. Inoffiziell ist bekannt, dass es sich dabei um einen wichtigen Teil der amerikanischen Raketenabwehr handelt. Und, dass Russland Vardø deshalb im Visier hat: «In der Vergangenheit hat die russische Luftwaffe wiederholt Bombenangriffe auf Vardø geübt. Im Kriegsfall hier im hohen Norden sind wir wohl die ersten, die angegriffen würden», sagt Vardøs Bürgermeister.

Landschaftsbild mit der Stadt Vardo
Legende: Die vier Radaranlagen ragen über die kleine Stadt hinweg. Bruno Kaufmann

Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine legen nun keine Schiffe aus Russland mehr in Vardø an. Stattdessen hat die Gemeinde damit begonnen, fast vergessene alte Bunker und Schutzräume aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg auszugraben und funktionstüchtig zu machen.

Bunker in Norwegen
Legende: Dieser Bunker wurde während des Zweiten Weltkriegs erbaut. Magnethy, CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

Das Ende einer langen Freundschaft

Vardø und der östliche Teil der norwegischen Provinz Finnmark, die an Russland grenzt, befinde sich in einem Schockzustand, sagt Lars Georg Fordal, der Leiter des sogenannten Barentssekretariates in der südlichen Nachbargemeinde Kirkenes: «Plötzlich leben wir wieder in einer düsteren und dunklen Zeit.»

Fordal hat in den letzten 30 Jahren eine enge Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg aufgebaut. Davon zeugen zweisprachige norwegisch-russische Strassenschilder und der visumfreie Verkehr zwischen den Bewohnerinnen und Bewohner der Grenzgemeinden. Dieser galt bis zum 24. Februar, an dem Tag begann Russland seinen Krieg gegen die Ukraine . «Hier im Norden waren wir jetzt lange wirklich gute Nachbarn», so Fordal.

Zweisprachige Strassenschilder und die Flaggen von Russland und Schweden.
Legende: Einst ein Zeichen der Freundschaft: Zweisprachige Strassenschilder und die Flaggen Russlands und Norwegens direkt nebeneinander. IMAGO / imagebroker

Dabei hatten gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Nordostnorwegen und Nordwestrussland auch damit zu tun, dass die sowjetischen Truppen am Ende des Zweiten Weltkrieges diese Region von Nazideutschland befreite – und sich dann anschliessend sofort wieder zurückzogen.

Aber jetzt – nach Russlands Überfall auf die Ukraine – gibt es für die gegenseitigen Sympathien kaum mehr Platz: Moskau hat Norwegen auf die Liste der «unfreundlichen Staaten» gesetzt. In Vardø und Nordostnorwegen herrschen jetzt wie auch anderswo Verunsicherung und Angst.

Spitzbergen: Ukraine-Krieg entzweit Friedensinseln

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Ein Mann steht vor dem Schweizer Vertretung in Spitzbergen.
Legende: Die Schweizer Vertretung in Spitzbergen. Bruno Kaufmann

Nirgendwo in der Welt leben Menschen nördlicher als auf Spitzbergen – und das auch erst seit gut 100 Jahren. Ein internationaler Vertrag aus dem Jahre 1920 regelt das friedliche Zusammenleben im Archipel, wo die Schweiz nun als erstes Land überhaupt eine diplomatische Vertretung eröffnet hat.

Spitzbergen ist ein internationales, neutrales und demilitarisiertes Territorium. Und das seit 1920, als ein Dutzend Staaten den sogenannten Spitzbergen-Vertrag vereinbarten. Verwaltet wird das gut 60'000 Quadratkilometer grosse Gebiet von Norwegen. «Jeder und jede kann sich hier ohne spezielle Aufenthalts- oder Arbeitsbewilligung niederlassen», sagt der 32 Jahre alte Schweizer Marcel Schütz, der vor zwölf Jahren erstmals auf die Inselgruppe kam.

Seit einigen Monaten amtet Schütz als Honorarkonsul der Schweiz in Longyearbyen, der Hauptstadt des internationalen Archipels. Er ist der erste diplomatische Vertreter überhaupt am 78. Breitengrad. Die Initiative dazu kam vom Schweizer Botschafter im über 2000 Kilometer weiter südlich gelegenen Oslo, Bernard Jaggy: «Als ich vor zwei Jahren meinen Posten in Norwegen antrat, musste ich als erstes versuchen, ein in Spitzbergen festsitzendes Forschungsschiff loszubekommen.»

Tatsächlich engagieren sich Schweizer Universitäten und Institution sehr stark an der am Universitätszentrum in Longyearbyen und dem Archipel betriebenen Polarforschung: «Aktuell zählen wir gegen 100 solcher Projekte», berichtet Jaggy und betrachtet die neueröffnete diplomatische Vertretung im hohen Norden als Beleg für die starke Forschungsdiplomatie der Schweiz. Dazu gehört auch der Beobachterstatus des Landes im Arktischen Rat, dem Zusammenarbeitsorgan der Nordpolanrainer.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat zuletzt aber diese seit Jahrzehnten betriebene Kooperation für ein friedliches Zusammenleben im hohen Norden in Frage gestellt – auch in Spitzbergen. Auf der Inselgruppe gibt es neben norwegischen nämlich auch russischen Siedlungen. «Wegen des Krieges haben wir unsere Zusammenarbeit auf Eis gelegt», sagt Ronny Brunvoll, der Touristenchef in Spitzbergen.

SRF News, Rendez-vous, 18:03.2022, 12:30 Uhr

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