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«Kindersorgen» Aus dem Zappelphilipp ist ein ADHS-Kind geworden

Der Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort hat den «Struwwelpeter» in die Gegenwart übersetzt: In seinem neuen Buch stellt er klassische Störungen bei Kindern vor. Ein Augenöffner für besorgte Eltern.

  • Vor 170 Jahren hat der Psychiater Dr. Heinrich Hoffmann den «Struwwelpeter» für seinen Sohn gezeichnet und erdichtet.
  • Das Buch gehört zu den erfolgreichsten deutschen Kinderbüchern. Es erzählt von Kindern, die nach unvorsichtigem Verhalten drastische Folgen erleiden.
  • Der bekannte Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort hat die kindliche Seelennot in seinem neuen Buch in die Sprache unserer Zeit übersetzt.
  • Michael Schulte-Markwort will verstehen, was kleine Wütheriche innerlich umtreibt – was den Suppenkasper zum Nahrungsverweigerer macht.

Krankheitsbild: Wüten und quälen

  • Im «Struwwelpeter»: der Wütherich

Bei Heinrich Hofmann endet es böse für den Friederich: Der Wütherich wird vom Hund, den er misshandelt hat, ins Bein gebissen. «Recht tief bis in das Blut hinein».

Nun muss er das Bett hüten, der Doktor verabreicht ihm die bittere Arzenei. Die Moral von der Geschicht: Quäle Mensch und Tiere nicht!

  • Heute: Dissoziale Kinder

Sieben Prozent aller Kinder sind heute dissozial. Sie lassen niemanden an sich ran. Sie schlagen sich wortwörtlich durchs Leben. Sie kochen innerlich.

Zur Person

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Der Hamburger Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort ist Experte für die Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen auf Kinder und Jugendliche.

Sie fühlen sich stark, wenn sie zerstören. Und niemand will mit ihnen zu tun haben. In der Schule nicht. Auf dem Spielplatz nicht. Und auch die Eltern wissen häufig nicht weiter.

Auch für die Experten der Kinderseele sind die Wütheriche sehr herausfordernd. Schulte-Markwort: «Wer anderen weh tut, sieht, wie andere leiden. Da muss man den eigenen Schmerz nicht spüren. Weh tut es ja den anderen! Und man immer noch stärker ist als die!»

Der Kinderpsychiater versteht das. Er heisst es aber nicht gut. Dissoziale Kinder müssen wieder Halt bekommen durch Menschen, die ihre grosse Not sehen und mit ihnen die Grundregeln des Zusammenlebens einüben.

Krankheitsbild: Wackeln und zappeln

  • Im «Struwwelpeter»: der Zappelphilipp

Was für ein Stress beim Mittagstisch! Der Philipp zappelt und wackelt. Der Vater schimpft und droht. Und die Mutter blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum. Das Tischtuch ist weg.

Das Essen liegt am Boden und der Bub auch. Heinrich Hoffmann hat das Störungsbild als erster beschrieben. Die Moral seiner Geschicht: Wackle und zapple nicht!

  • Heute: Das ADHS-Syndrom

ADHS bedeutet Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung. Zappelphilippe gibt es heute immer noch.

Sie geben in der Fachwelt viel zu streiten. Man weiss heute, dass es sich um eine Störung des Hirnstoffwechsels handelt. Um diesen Hirnstoffwechsel zu regulieren, empfehlen viele Ärzte Ritalin oder vergleichbare Psychosubstanzen.

Buchhinweis

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Michael Schulte-Markwort: «Kindersorgen: Was unsere Kinder belastet und wie wir ihnen helfen können», Droemer, 2017.

«Das ist für Eltern sehr schwer zu akzeptieren», weiss Schulte Markwort. Er nimmt sich viel Zeit mit den Eltern «seiner» Zappelphilippe zu reden. Er will den Kindern nämlich medikamentös und therapeutisch helfen.

«Mir ist wichtig, das die ADHS-Kinder ihrer Intelligenz entsprechend geschult werden können. Ich weiss, wie sie sich anstrengen und trotzdem nie wirklich das erreichen, was sie könnten. Das untergräbt ihr Selbstwertgefühl. Das ist fatal.»

Wenn Eltern sich à tout prix gegen die medikamentöse Hilfe wehren, kann der sanfte Hamburger Experte auch mal deutlich werden. «Ich sehe das als unterlassene Hilfeleistung!»

Kranheitsbild: Hungern und erbrechen

  • Im «Struwwelpeter»: der Suppenkaspar

Bei Hoffmann ist es ein Junge, der hartnäckig das Essen der Suppe verweigert. Und er bleibt standhaft bis zum Tod. Die Moral von der Anekdot`: Essen muss sein! Sonst holt dich der Tod!

  • Heute: Anorexie

Im Buch von Michael Schulte-Markwort ist in einem Kapitel auch von hungernden Mädchen und bodybuildenden Jungs ausführlich die Rede.

Der Körper ist immer noch für manche Jugendliche ein Kampfplatz zur Austragung von inneren Nöten. «Das Schwierige ist aber, dass diese Jugendlichen kein Einsehen haben in ihr Kranksein.»

Der Psychiater schreibt: «Magersüchtige Mädchen provozieren. Sie leben uns vor, wie man scheinbar ohne grundlegenden Bedürfnisse auskommt.»

Der Seelsfachmann sieht den Kontrollwahn als zunächst hilfreichen Schutz gegen die beängstigende Zügellosigkeit, die Sexualität und anderes, was berauscht, mit sich bringt.

«Es braucht viel, bevor ein Mädchen zur Hungerkünstlerin wird.» Wer die Schuld allein bei «Germanys next Top Model sucht, verkennt das.»

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