«Der Bursche ist eine Katastrophe», urteilte Thomas Mann 1939 über Adolf Hitler, «aber das ist kein Grund, ihn als Charakter nicht interessant zu finden.»
Die österreichischen Historiker Christian Rapp und Hannes Leidinger haben Thomas Mann beim Wort genommen. In einer Ausstellung in St. Pölten sowie in dem neuen Buch «Hitler – prägende Jahre» richten die renommierten Forscher den Fokus auf die Kindheits- und Jugendjahre des Diktators.
Begeisterung für alles Völkische
Die zentrale These der beiden Forscher: Hitlers rassistische Ideologie nährte sich nicht aus den Münchner Erfahrungen 1918/19 oder aus obskuren rechts-esoterischen Schriften, wie immer wieder behauptet wurde. Sie wurzelt direkt im völkisch-reaktionären Mainstream des österreichischen Fin de Siècle.
Wie Hitler dachten in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts hunderttausende Jugendliche in den deutschsprachigen Gebieten der k.-und-k.-Monarchie: ob sie als Aktivistinnen und Aktivisten des «Deutschen Turnerbunds» dem Turnvater Jahn huldigten oder als schlagende Burschenschafter blutige Mensuren fochten – viele Jugendliche jener Zeit liessen sich vom völkischen Deutschnationalismus begeistern.
Frühe Prägung
Mithilfe moderner Recherche-Tools – etwa der elektronischen Volltextsuche in alten oberösterreichischen Provinzzeitungen – rollen Leidinger und Rapp die Kindheits- und Jugendjahre Hitlers noch einmal auf. Sie analysieren die Biografien von Hitlers Eltern und seiner Linzer Realschullehrer – und kommen dabei zu einem klaren Befund: Hitler hat seine entscheidenden ideologischen Prägungen bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Schüler und Schulabbrecher in Linz erhalten.
Adolf Hitler, Sohn eines k. und-k.-Zollbeamten, hat sich schon als Jugendlicher in einem radikal deutschnationalen Milieu bewegt, das im Linzer Bürgertum jener Zeit gut verankert gewesen war. Ein Milieu, in dem Jahnsche Turnbrüder und -schwestern, antiklerikale Bismarck-Verehrer und völkische Richard-Wagner-Enthusiasten den Ton angegeben haben.
Die dunkle Seite der Moderne
«Das Phänomen Hitler kann man nur verstehen, wenn man die dunklen Seiten der Moderne ins Visier nimmt», erklärt Christian Rapp, wissenschaftlicher Leiter des «Hauses der Geschichte» in Sankt Pölten. «Diese dunklen Seiten haben sich im sozialdarwinistischen und rassenhygienischen Schrifttum jener Zeit ebenso ausgedrückt wie in den nationalistischen, imperialistischen und antifeministischen Strömungen der Epoche.»
Ob sich Adolf Hitler im Buchgeschäft des Linzer «Germanenbündlers» Sepp Steurer mit deutschnationalem Schrifttum eindeckte oder im Linzer Landestheater bei Wagner-Opern wie «Rienzi» und «Lohengrin» ehrfurchtsvoll erschauerte: Hitlers rassistische «Weltanschauung» hatte sich in ihren wesentlichen Zügen bereits in seiner Linzer Zeit herausgebildet.
Der Antisemitismus als konstituierendes Element der Hitler'schen Ideologie kam den beiden österreichischen Historiker zufolge spätestens in den Wiener Jahren dazu.
Sturer Eigenbrötler
Die Historiker Hannes Leidinger und Christian Rapp rekonstruieren in ihrem Buch auch die destruktive Familiendynamik, die Adolf schon in jungen Jahren zu einer wenig einnehmenden Persönlichkeit gemacht hat.
Adolf Hitler war ein starrer Charakter ohne jede Fähigkeit zur Selbstkritik, ein verdruckster Eigenbrötler und manischer Monologisierer, der es liebte, seinen Mitschülern und Geschwistern Befehle zu erteilen.
«Etwas Festes, Starres, Unbewegliches, hartnäckig Fixiertes lag in seinem Wesen», erinnerte sich Hitlers Jugendfreund August Kubizek später. «Es bildete förmlich die Basis, auf der sich alle anderen Charaktereigenschaften Hitlers entwickelten.»