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Beats und Bibel Berner Rapper: «Gott möchte inexistent sein»

Rap-Fans und Freunden von fetten Beats und Tiefgang ist Tommy Vercetti seit bald zwei Jahrzehnten ein Begriff. Der Berner Musiker wird oft zu seinen system- und kapitalismuskritischen Texten befragt. Er ist aber auch ein passionierter Kenner der Bibel und der christlichen Tradition, obschon er sich als Atheist versteht.

Vercetti ist nicht besonders religiös aufgewachsen. Trotzdem ist das Neue Testament für ihn eine der grossartigsten Erzählungen, weil es Literatur «von unten» sei und den Blick der Unterdrückten ins Zentrum rücke. Ein Gespräch über Tracks und Tränen, Glaube, Gemeinschaft und schwarze Schokolade.

Tommy Vercetti

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Tommy Vercetti, bürgerlich Simon Küffer, ist gelernter Grafiker, hat Visuelle Kommunikation studiert und promoviert derzeit an der Hochschule der Künste Bern über die Symbolik des Geldes in massenmedialen Bildern. Dabei vergleicht Vercetti unter anderem Rap-Plattencover mit Bankenwerbung.

2010 erschien sein erstes Debütalbum «Seiltänzer», das erfolgreich unter den Top 20 der Schweizer Hitparade einstieg. Seine letzten beiden Alben belegten jeweils Platz 1 der Schweizer Hitparade. Für seine Texte wurde er auch bereits von der Stadt Bern mit einem Literaturpreis ausgezeichnet.

SRF: In «La gah, la si» von 2012 haben Sie eine Line zur Kreuzigung von Jesus Christus: «Und i ha grännet i de Nacht, wo Du gschtorbe bisch für d'Lüt.» War diese Auseinandersetzung tatsächlich so emotional?

Tommy Vercetti: Es war emotional. Ich würde aber nicht schwören, dass ich dabei geweint habe. Es ging letztlich darum, dass mich inhaltlich doch einiges in diesem Glaubensgebäude sehr berührt und ich mich damit identifizieren kann. Nehmen wir etwa den Gedanken, dass Jesus für die Menschen gestorben ist. Das rührt mich wirklich an.

Inzwischen sind Sie bekennender Atheist. Wogegen wenden Sie sich genau?

Wohl nicht gegen etwas Konkretes. Es gab aber einen Moment in meinem Leben, da wollte ich mir Klarheit verschaffen. Das Resultat dieses Prozesses war der Atheismus. Gott gegenüber habe ich aber keine wahnsinnig bösen Gefühle.

Wie kamen Sie zur Einsicht, das alles gehen lassen zu müssen?

Wenn man das Christentum ernst nimmt, kommt man sowohl auf dem Weg des Atheismus als auch auf jenem des radikalen Glaubens zum selben Resultat: Gott möchte, dass er inexistent ist. Das Paradies kann man nur in der Gemeinschaft und nicht in Gott erreichen. Deshalb ist meine Idee davon auch eine gesellschaftliche und keine göttliche.

Indem man an sich selbst glaubt, glaubt man automatisch an alle anderen Menschen.

«I muess mi vo Dir verabschiede zum würklich a Di z gloube», rappen Sie an einer Stelle. Worin besteht dieser neue Glaube?

Im Glauben an die Mitmenschen. Es geht mir darum, bereits im Spiegel diejenige Person zu erkennen, die uneigennützig handeln kann. Wenn also ich das kann, dann können es auch andere. Indem man an sich selbst glaubt, glaubt man automatisch an alle anderen Menschen.

Trotz dieser persönlichen Einsichten sind Sie weiterhin Mitglied der römisch-katholischen Kirche. Weshalb?

Die Kirche ist ein Akteur geworden, der Dinge tut oder leistet, die ich befürworte und die niemand sonst tut. Angesichts dessen, was die Kirche eben Gutes tut, schmerzt mich das Geld also nicht so sehr.

Wenn ich schwarze Schokolade esse, dann reicht das für mich an Paradies.

Sie sprechen in der Öffentlichkeit immer wieder über den Kapitalismus, Marx und unser Verhältnis zu Geld. Diverse Tracks weisen aber auch religiöse und biblische Inhalte auf. Weshalb sprechen Sie so selten darüber?

Danach werde ich einfach sehr selten gefragt. Ich muss ehrlich sagen, dass ich manchmal ein bisschen darunter leide, meist politisch-ökonomische Interviews zu führen. Selten dreht es sich nämlich um Rap oder Musik.

Worüber würden Sie stattdessen gerne sprechen?

Interviews werden oft so geführt, als hätte ich primär ein politisches Anliegen und Rap als das Mittel gefunden, dieses Anliegen zu formulieren. Daran ist aber vieles falsch. Denn ich verstehe mich als Rapper und damit Musiker. Das hat einen Eigenwert.

Rütteln Sie manchmal noch an Ihrer Überzeugung, dass es Gott nicht gebe?

Nein. Falls ich sterben würde und es gäbe Gott trotzdem, wäre ich wohl positiv überrascht. Ich bin ein sinnlicher Mensch, führe insgesamt ein glückliches Leben. Ich suche oder brauche keinen Sinn dafür. Wenn ich schwarze Schokolade esse, dann reicht das für mich an Paradies.

Das Gespräch führe Olivia Röllin. Das Interview ist die gekürzte Fassung eines längeren Gesprächs, das im Rahmen der «Sternstunde Religion» geführt wurde.

SRF 1, Sternstunde Religion, 20.02.2022, 10:00 ; 

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