Im Beinhaus Vrin in Graubünden sind mehr als 100 Schädel in die Fassade eingemauert. Zusammen bilden sie einen vierreihigen Fries, der rund um das kleine Haus herumgeht.
Das sei in der Schweiz einzigartig, betont der Fotograf Yves Müller: «Meistens sind die Knochen innen, leicht versteckt.» Wie etwa in Leuk: Unter dem Kirchenschiff befindet sich eine 20 Meter lange Wand voller Totenschädel.
Yves Müller forscht zusammen mit der Religionswisenschaftlerin Anna-Katharina Höpflinger seit mehreren Jahren zu Beinhäusern. Sie haben in der Schweiz mehr als 190 Orte besucht, um Beinhäuser ausfindig zu machen. Jene, die noch Knochen oder Memento-Mori-Malereien enthalten, haben sie fotografisch dokumentiert und deren Geschichten recherchiert.
Wohin mit den Knochen?
Entstanden sind Beinhäuser im Mittelalter, aus Platzmangel auf den Friedhöfen. Oft lagen diese mitten in Siedlungsgebieten und konnten nur schwer erweitert werden. Brauchte man ein neues Grab, wurde kurzerhand ein bereits vorhandenes ausgehoben.
Die Knochen konnten aber nicht einfach weggeschmissen werden. «Nach damaligem Glauben hätte eine Zerstörung der Knochen verunmöglicht, leiblich aufzuerstehen und in den Himmel zu kommen», sagt Anna-Katharina Höpflinger. So lagerte man die Gebeine eben in Beinhäusern.
Für diese interessiert sich Religionswissenschaftlerin Höpflinger besonders: «Ich nenne sie magische Praktiken.» Aus Graubünden sei etwa überliefert, dass man bei Zahnschmerzen einen Zahn aus dem Beinhaus nehmen und um den Hals tragen sollte.
Beinhäuser werden ausgeräumt
Mit der Zeit verloren Beinhäuser aber an Bedeutung. In reformierten Gebieten wurden sie bereits während der Reformation ausgeräumt. Solch ein Totenkult passte den Reformatoren nicht.
In katholischen Gebieten hingegen waren Beinhäuser während des Barocks en vogue: Tod und Vergänglichkeit wurden opulent inszeniert, mit Totenschädeln, Sanduhren oder abgebrannten Kerzen. Beinhäuser passten wunderbar zu diesen Memento-Mori-Motiven.
Im 19. Jahrhundert nahm dann auch in katholischen Gebieten die Nutzung ab. «Die Knochenlagerung wurde als unhygienisch empfunden», erzählt Anna-Katharina Höpflinger. «Zudem kam der Tourismus auf. Kurgäste wollten gesund und nicht mit dem Tod konfrontiert werden.»
Heutige Nutzung ist vielfältig
Heute sind viele Beinhäuser gar nicht mehr als solche erkennbar: Sie wurden umfunktioniert, etwa zu Abstellkammern, zu Toiletten oder gar zu Gefängnissen. Andere dienen einem musealen Zweck, wie etwa das Beinhaus im zürcherischen Bubikon.
«Wir haben aber auch Beinhäuser gefunden, wo noch Kerzen angezündet werden und zu den Verstorbenen gebetet wird», berichtet Yves Müller. Das ist auch in Vrin so: In einer kleinen Nische steht ein Ständer mit brennenden Kerzen. Kleine Hefte mit Gebeten für die Verstorbenen liegen für Besucherinnen und Besucher bereit.