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Belagerung von Mekka 1979 Der Ursprung islamistisch geprägten Terrors

Sie war die grösste Geiselnahme der Geschichte: die Belagerung von Mekka im Jahr 1979. Ihre Folgen prägen den Mittleren Osten bis heute.

20. November 1979: Rund 500 bewaffnete Männer dringen in die Grosse Moschee von Mekka ein, dem heiligsten Ort des Islam. Sie töten Sicherheitskräfte und nehmen betende Pilger und Geistliche gefangen. Gegen 100’000 Gläubige befinden sich zu jenem Zeitpunkt in der Moschee.

Die Männer sind Anhänger des Beduinen Juhayman al-Otaybi und stammen mehrheitlich aus Saudi-Arabien, aber auch aus Kuwait, Pakistan und Marokko. Einige der Saudis hatten einst in der Nationalgarde gedient, wie später bekannt werden wird. Die Gruppe fordert das Ende der Herrschaft der Königsfamilie al Saud, deren feudalistischen, korrupten Lebensstil sie verachten. Ausserdem wollen sie erreichen, dass Saudi-Arabien mit dem Westen bricht.

Juhayman al-Otaybi trägt einen Bart. Er hat Dreck im Gesicht.
Legende: Er führte den Überfall auf die Grosse Moschee an: Juhayman al-Otaybi. AFP

Damit treffen sie einen Nerv. Denn seit 1938 die gigantischen Ölvorräte entdeckt wurden, versucht das Königshaus den säkularen modernen westlichen Lebensstil mit jenem der puritanisch-religiösen Stammesverbände zu verbinden. Es ist ein Spagat, der das Land fast zerreisst

Hunderte Tote

Nach 15 Tagen Belagerung und mehreren Angriffswellen saudischer Streitkräfte mit zum Teil hohen Verlusten wird die Grosse Moschee mit Hilfe westlicher Verbündeter gestürmt. Dabei sterben nach offiziellen Angaben 330 Menschen, Schätzungen zufolge dürften es aber über 1000 sein.

Zwei Soldaten in der Grosse Moschee. Sie sind bewaffnet.
Legende: Soldaten der saudi-arabischen Armee bei Einsatz in der Grossen Moschee. mauritius images / Alamy / UtCon Collection

Im Januar 1980 werden 63 überlebende Aufständische, darunter der Anführer al-Otaybi, öffentlich enthauptet. Die grösste Geiselnahme der Geschichte wirft Schockwellen durch die arabische Welt. Der Einsatz von Waffen im Heiligen Bezirk bedeutet ein Sakrileg, die Besatzung ein schmachvoller Kontrollverlust des Königshauses, welche als Hüterin der heiligen Städte Mekka und Medina und der muslimischen Pilger fungiert. Im Westen wird das Ereignis jedoch kaum wahrgenommen

Zum Ursprung des islamistischen Terrors

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Islamistischer Terror ist die Folge einer politischen Ideologie, die bestimmte Gesellschaftsvorstellungen mittels Gewalt durchsetzen will. Die Vorstellung, dass zur Zeit der ersten Muslime auf der Arabischen Halbinsel ein «Ideal-Islam» herrschte, der Rückgriff auf eine religiös aufgeladene Sprache und apokalyptische Endzeitvorstellungen spielen dabei eine grosse Rolle.

Zeitenwende in Saudi-Arabien?

Jahrzehnte später erhält ein Filmteam um den deutschen Regisseur Dirk van den Berg Zugang zu exklusivem Material. Zudem kann van den Berg Interviews mit ehemaligen Diplomaten und Geheimdienstlern führen und so die Geschichte der Belagerung von Mekka rekonstruieren und ihre Auswirkung analysieren.

Die Belagerung und Erstürmung der Grossen Moschee war nicht nur eine Schmach für das Königshaus, es war auch ein fatales Signal, dass religiös motivierte Gewalt zielführend sein kann. Das saudische Königshaus intensivierte nicht nur seine militärische Zusammenarbeit mit dem Westen, insbesondere mit den USA und Grossbritannien, sondern förderte ebenso die Verbreitung des Wahhabismus. Die Forderungen al-Otaybis und seiner Anhänger wurden so teilweise durchgesetzt.

Was ist Wahhabismus?

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Wahhabismus ist eine Reformbewegung innerhalb des sunnitischen Islam. Er fordert die Rückkehr zum «reinen Islam», also zurück zur Lebensweise der ersten Muslime im 7. Jahrhundert. Der Koran und vor allem die Überlieferungen des Propheten werden fundamentalistisch ausgelegt. Durch das Bündnis des Predigers Muhammad ibn Abd al-Wahhab (1703 – 1792) mit Muhammad bin Saud besteht seit dem 18. Jahrhundert eine Allianz zwischen Klerus und Monarchie, in der sich Wahhabismus und Königshaus gegenseitig stützen.

«Saudi-Arabien hat in den letzten 30 Jahren zehn Milliarden US-Dollar ausgegeben, um seine radikale, intolerante Staatsideologie in der Welt zu verbreiten», erklärte der Nahostexperte Terence Ward kürzlich.

Sichtbares Ergebnis dieses Gebarens sind nicht nur mit saudischem Geld finanzierte Moscheen von Indonesien bis Bosnien-Herzegowina, sondern Terrorgruppen wie Boko Haram, der IS oder al-Kaida, die ihren Kampf mit einer engen Auslegung des Koran und somit mit dem von Saudi-Arabien verbreiten Wahhabismus legitimieren. Insofern kann die Geiselnahme von Mekka als Ursprung des Terrors islamistischer Prägung bezeichnet werden.

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