Im Liegestuhl fläzen? Unmöglich! «Nach fünf Minuten geduldigen Ausharrens, begann ich stets, ums Pool-Deck herumzurennen.» Golfen oder Angeln? «Ich kann mir nichts Nutzloseres vorstellen!»
Es ist zehn Uhr früh. Ben Ferencz, ein kleiner, schmächtiger Mann mit sonnigem Gemüt und scharfem Verstand, ist schon seit drei Stunden auf den Beinen.
Bei meiner Ankunft in seinem bescheidenen Bungalow in Delray Beach, Florida, sitzt er gerade vor seinem PC und beantwortet die über Nacht eingetroffenen E-Mails. «Heute Morgen waren es nur etwa zehn, fünfzehn Stück.»
«Weshalb sollte ich mich verstecken?»
Wer ihm schreibt, erhält meist binnen 24 Stunden eine Antwort. Wer stattdessen lieber mit ihm reden möchte, kann ihn auch einfach anrufen. Im Gegensatz zu anderen Prominenten steht sein Name im öffentlichen Telefonbuch.
«Weshalb sollte ich mich verstecken?», meint er fröhlich. «Ich versuche, eine zivilisierte Welt zu schaffen. Das kann ich nicht, wenn ich mich verschanze.»
Grosser, kleiner Mann
Von Statur mag der Mann mit 1,54 Metern zwar klein sein. Aber als letzter lebender Chefankläger der Nürnberger-Kriegsverbrecher-Prozesse und als unermüdlicher Advokat für den Frieden gehört er zu den ganz Grossen unserer Zeit.
In seiner Funktion als US-amerikanischer Ermittler von deutschen Kriegsverbrechen war er einer der ersten bei der Befreiung der Nazi-Konzentrationslager.
Ihm ist es zu verdanken, dass eine streng geheime «Reichssache» nach Kriegsende öffentlich wurde und in Nürnberg vor Gericht kam. Nach dem Überfall von Hitlers Wehrmacht auf die Sowjetunion im Sommer 1941 erschossen nachrückende «Einsatzgruppen» der SS zwei Jahre lang täglich und systematisch unschuldige Männer, Frauen, Kinder und Säuglinge – wie zuvor in Polen und auf dem Balkan.
Die meisten ihrer Opfer waren Juden, aber auch Sinti, Roma und andere Feinde des NS-Regimes ereilte dasselbe Schicksal.
Trauma als Antrieb
Was Ben Ferencz während seiner Jahre als Ermittler von Nazi-Gräueln und als US-Chefankläger gegen 24 Kommandeure mobiler Killer-Kommandos hinter der Ostfront erlebte, hat ihn für den Rest seines Lebens geprägt.
Noch heute hält er Vorträge, gibt Interviews, schreibt Artikel und Leserbriefe gegen jede Art von kriegerischer Aggression. So auch nach US-Präsident Trumps angeordneter Ermordung des iranischen Generals Quassim Suleimani anfangs Januar.
In der «New York Times» verurteilte er den amerikanischen Drohnenangriff als «unmoralisch und als klare Verletzung nationalen und internationalen Rechts».
«Ich habe keine andere Wahl», sagt der Mann, der am 11. März seinen 100. Geburtstag feiert. «Was ich gesehen habe, hat mich so traumatisiert, dass ich mich nicht ausruhen kann. Ich bin immer am Arbeiten. Und ich arbeite im Grunde für etwas ganz Einfaches: Recht statt Krieg. Regelt eure Konflikte nur auf friedliche Weise!»
Eine Welt ohne Kriege sei möglich: Davon ist der Völkerstrafrechtsexperte überzeugt. Aber es verlange, so Ferencz, eine Umerziehung schon im frühesten Kindesalter, um die Herzen und das Denken der Menschen zu ändern.
«Damit sie verstehen: Wir sind alle Teil einer einzigen, grossen Familie auf einem Planeten. Und wir sollten den Ressourcen unseres Planeten Sorge tragen, damit wir alle in Frieden und Würde leben können.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Passage, 28.2.2020, 20:00 Uhr.