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Bericht «Earth for all» Geld umverteilen, um nicht auf den Klimakollaps zuzusteuern?

Die Vision des «Club of Rome» ist ambitioniert: eine bessere, nachhaltige Zukunft der Welt. 1972 sorgte der Club mit seinem Bericht «Die Grenzen des Wachstums» für Furore und auch für Kritik. Gemäss den damaligen Szenarien des Clubs würde anhaltendes Wachstum katastrophalen Folgen haben.

Nun hat der Club of Rome einen weiteren Bericht unter dem Titel «Earth for all» veröffentlicht. Er fordert Umverteilung für den Ausweg aus der Klimakatastrophe. Die Ökonomin Irmi Seidl erklärt, was die soziale Ungleichheit mit Klimapolitik zu tun hat.

Irmi Seidl

Ökonomin

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Die Ökonomin Irmi Seidl leitet die Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Eidgenössischen Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft.

Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem Umweltökonomische Instrumente und die Postwachstumsgesellschaft.

SRF: Über den Vorgänger-Bericht des Club of Rome von 1972 spricht man noch heute. Dennoch hatte er wenig Wirkung.

Irmi Seidl: Das Buch hat eine grosse Debatte ausgelöst. Aber tatsächlich hat sich das damals problematisierte Wachstum fortgesetzt, die Politik hat sich die Erkenntnisse nicht zu eigen gemacht.

Inzwischen zeigen verschiedene Studien, dass wir auf dem Pfad des damaligen Szenarios «Weiter wie bisher» sind. Die damaligen Szenarien erweisen sich als beeindruckend gut.

Der Club of Rome

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Die gemeinnützige Organisation setzt sich aus Intellektuellen und Expertinnen aus aller Welt zusammen. Die Vision des Club of Rome ist eine vernetzte Welt, die das Wohlergehen aller Menschen in einem gesünderen Ökosystem fördert. Unter anderem setzt der Club dabei auf neue wirtschaftliche, finanzielle und gesellschaftspolitische Modelle.

1972 veröffentlichte der Club of Rome den Bericht «Die Grenzen des Wachstums», einen umfassenden Report zur Zukunft der Erde. Darin warnte der Club vor einer nur auf Wachstum ausgelegten Welt. Der Bericht stiess aber auch auf grosse Kritik. So sei das menschliche Verhalten zu wenig in das Zukunftsmodell miteinbezogen worden.

Diese Zukunftsszenarien basierten auf Computersimulationen, auch im neuen Buch spielen Daten und Modelle eine Rolle. In «Earth for all» werden sehr konkrete Massnahmen vorgestellt. Welche sind das?

Das Buch fokussiert auf fünf Bereiche, für die die Autorinnen und Autoren grosse, tiefgreifende Transformationen nachdrücklich empfehlen. Gar drei Bereiche betreffen Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.

Die Experten problematisieren erstens Armut, vor allem Armut auf globaler Ebene. Zweitens thematisieren sie die Beseitigung von Ungleichheit innerhalb einzelner Länder, aber auch global. Und drittens geht es um das «Empowerment» von Frauen, also ihre Ermächtigung, Ausbildung und gleichberechtigte Mitsprache.

Wenn politische Systeme labil werden, wird es schwierig, Klimaprobleme zu lösen.

Ein besonders wichtiges Thema für den sozialen gesellschaftlichen Aspekt ist Ermächtigung. Hier geht es stark um die Ausbildung, Ermächtigung und Mitsprache von Frauen.

Warum spielt die soziale Ungleichheit bei der Klima- und Umweltpolitik so eine wichtige Rolle?

Aus mindestens zwei Gründen: Zum einen haben die Vermögens- und Einkommensreichsten einen übermässigen Konsum an Umweltressourcen und -emissionen. Die reichsten 10 Prozent produzieren global fast die Hälfte der klimaschädlichen Emissionen. Ein Drittel dieser 10 Prozent lebt in Schwellenländern.

Zum anderen entstehen bei Ungleichheiten politische, soziale und gesellschaftliche Spannungen und können zu Misstrauen, Korruption, Populismus und Rassismus führen. Wenn politische Systeme labil werden, wird es schwierig, Klima- und Umweltprobleme zu lösen und eine ökologische und soziale Wende voranzubringen.

Wie wollen die Expertinnen und Experten die Ungleichheit auf der Welt beseitigen?

Unter anderem, indem die reichsten zehn Prozent «nur» maximal 40 Prozent des Nationaleinkommens verdienen sollen. Wege dazu sind eine progressive Steuer oder höhere Löhne, letzteres durch zu stärkende Gewerkschaften.

Der Bericht bringt Diskurse zu sozialen Fragen, Naturverbrauch und Umweltkrisen zusammen.

Sie schlagen auch eine allgemeine Grunddividende vor. Demnach soll jeder Mensch eine gewisse Summe erhalten, die finanziert wird aus Abgaben auf Umweltressourcen und -emissionen und anderes. Dies sichere der breiten Masse eine gewisse Grundexistenz.

Glauben Sie, dass das neue Buch mehr Zuspruch findet als der Bericht vor 50 Jahren?

Das Buch dürfte auf positive Resonanz stossen. Es bringt aktuelle Diskurse und Forschungsergebnisse zu sozialen Fragen, Naturverbrauch und Umweltkrisen zusammen und in die breite öffentliche Debatte ein. Es stärkt die Argumentation für mehr Gleichheit und Gerechtigkeit.

Das Gespräch führte Katrin Becker.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 09.09.2022, 08:15 Uhr ; 

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