Was ist passiert? Eines der bekanntesten Bilder vom Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 ist nicht echt. Das Foto, das eine grosse Menschenmenge vor dem lichterloh brennenden Gebäude zeigt, war bis vor Kurzem oft zu sehen. Auch als jüngst Medien über den 90. Jahrestag des Brandes berichteten, fand es sich auf zahlreichen Titelseiten.
Mit aufgedeckt hat den Fake der deutsche Historiker Andreas Kötzing. Weil der Ursprung des Bildes unbekannt war, hatte Kötzing sich auf die Suche gemacht: «Ich habe bei den Bildagenturen nachgefragt, wie das Foto in ihren Besitz gekommen ist. Keine einzige konnte mir dazu Informationen geben.»
Woher stammt das Fake-Bild? Das Bild ist ein Standfoto aus dem DEFA-Spielfilm «Der Teufelskreis», der 1955 in der DDR gedreht wurde – mehr als 20 Jahre nach dem Brand. Für diesen Film, in dem es eher um den Prozess gegen den Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe ging, hatte man eigens ein Modell des Reichstags aus Holz nachgebaut.
«Dieses Modell wurde dann sehr spektakulär in Flammen gesetzt», so Kötzing. Auch ein Setfoto von den Dreharbeiten gebe es. «Dort fehlt die Menschengruppe. Die wurde erst durch eine Rückprojektion eingefügt.» Man hatte also Statisten vor eine Leinwand gestellt und die Filmaufnahmen vom brennenden Reichstags-Modell im Hintergrund eingeblendet.
Wie konnte dieses Bild für echt gehalten werden? Ein halbes Jahr später benötigte die DEFA Aufnahmen des Reichstagsbrands für einen Dokumentarfilm über Deutschland. Also griff man zu den Aufnahmen aus dem Spielfilm und verfremdete sie leicht: «Man hat an dem Material gearbeitet, damit es älter aussieht. Dadurch war für den Zuschauer kaum noch zu erkennen, dass die Szene nachgestellt war.»
Gleichzeitig gelang es der DEFA, die Doku erfolgreich ins Ausland zu verkaufen, an insgesamt 50 Länder, von Frankreich und Grossbritannien bis Schweden. Dort wurde die Aufnahme unwissentlich weiterverwendet. Sie verbreiteten sich, andere Filmemacher griffen auf das Material zurück, schliesslich machte sie eine Karriere als Foto und landete in den Datenbanken der Bildagenturen.
Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, den Fake zu entlarven, so der Historiker. Das Bild sei aus logistischen Gründen einfach unrealistisch, schliesslich wusste niemand vorher, dass der Reichstag an dem Tag brennen würde: «Es gab keine Möglichkeit für ein Filmteam, sich dort so rasch einzurichten und solch professionelle Filmaufnahmen von dem brennenden Gebäude zu machen.»
Welchen Einfluss hatte dieses falsche Bild auf die Geschichtsschreibung? Das Bild hat die Wahrnehmung des historischen Ereignisses verändert. So wurde und wird das Ausmass des Brandes deshalb oft überschätzt: «Häufig liest man, der gesamte Reichstag hätte in Flammen gestanden oder er sei sogar bis auf die Grundmauern niedergebrannt.» Es sei möglich, dass dies vor allem von dem falschen Bild herrühre, das weit dramatischer und plastischer wirke als tatsächliche historische Aufnahmen.
Wie geht es jetzt weiter? Kötzing möchte keine Prognose wagen. Er hofft jedoch, dass die Aufklärung und auch die geänderten Bildbeschreibungen in den Bilddatenbanken dazu führen, dass das Bild in Zukunft zumindest um den Hinweis ergänzt wird, dass es sich um eine gestellte Szene handelt. Bei der deutschen Bildagentur Imago beispielsweise wird das Foto bereits als DEFA-Filmbild aufgeführt.