Wieso durften Frauen in Russland bisher nicht U-Bahn-Führerinnen werden? Es gib eine Liste mit Berufen, die für Frauen verboten sind. Die offizielle Begründung ist die Sorge um die Gesundheit der Frauen. «Es heisst, dass bestimmte Berufe für Frauen gesundheitsschädigend seien», sagt Russland-Korrespondent David Nauer. Verboten sind insbesondere Berufe, von denen man glaubt, sie könnten der Gebärfähigkeit von Frauen schaden.
In der Sowjetunion wurde die Berufstätigkeit von Frauen gefördert. Stehen die Berufsverbote dazu nicht im Widerspruch? «Das Bild der emanzipierten sowjetische Frau war zumindest teilweise ein Propaganda-Bild», sagt David Nauer. Frauen hätten zwar am Arbeitsprozess teilnehmen dürfen, gar müssen, zusätzlich wurde ihnen aber auch die Kinderbetreuung aufgebürdet: Frauen mussten im Beruf arbeiten und sich zusätzlich auch um den Haushalt kümmern. Die Sowjetunion sei für Frauen nur vom Schein her eine emanzipierte Gesellschaft gewesen, sagt Nauer. Im Kern sei sie eine patriarchale Gesellschaft gewesen.
Warum wurde das Verbot nun aufgehoben? Auf der Verbotsliste standen bisher 456 Berufe, nun wurde sie auf 100 gekürzt. Diese Liste besteht bereits seit der Sowjet-Zeit, viele der Berufe haben sich seither stark verändert oder sind ganz verschwunden. David Nauer: «Auf der Liste stand zum Beispiel auch der Beruf des Dampflokomotivführers. Natürlich gibt es auch in Russland längst keine Dampflokomotiven mehr.»
Andere Berufe sind heute weniger gefährlich und anstrengend. Deshalb sind sie der offiziellen Argumentation folgend auch für Frauen zulässig. Die Moskauer Behörden teilten mit, das Metro-Fahren sei heute nicht mehr körperlich anstrengend, weil vieles automatisiert sei. Zudem haben sich Frauen zum Teil erfolgreich gegen die Diskriminierung gewehrt und vor Gericht eine Zulassung zu bestimmten Berufen erstritten. Auch Arbeitgeber und die Politik haben Druck gemacht, einzelne Verbote aufzuheben.
Welche Berufe stehen weiterhin auf der Liste? Neben der Metro dürfen Frauen neu auch grosse Schiffe und Lastwagen lenken. Weiterhin verboten sind für Frauen unter anderem die Arbeit bei der Feuerwehr, im Bergbau, in Stahlwerken oder als Rettungstaucherinnen.
Wie wurde in Russland über die ersten weiblichen U-Bahn-Führerinnen berichtet? Der Arbeitsbeginn der U-Bahn-Führerinnen war kein grosses Medienereignis. Es sei weitgehend aus einem patriarchalen Blickwinkel berichtet worden, sagt Nauer. In einem Fernsehbeitrag habe man sich gefreut, dass nun auch das schöne Geschlecht U-Bahn fahren dürfe und betont, dass sie aber nur auf einer Linie fahren, die nicht besonders anstrengend sei.»
Zu Ehren der ersten U-Bahn-Führerinnen hat die Moskauer Metro-Gesellschaft ausserdem ein Souvenir herausgegeben: eine Barbie-Puppe in Metro-Uniform.