Die Kirche ist rappelvoll. Alt und Jung, Frauen, Männer und Kinder singen dem Priester nach. In Südindien, im Bezirk Wayanad, sind über ein Fünftel der Menschen Christen, viele katholisch. Religiöse Riten bestimmen den Alltag.
Die meisten Familien leben von der Landwirtschaft. Sie pflanzen Pfeffer, Kardamon und Kaffee für den Verkauf an, darüber hinaus Reis, Bohnen, Bananen und Kokosnüsse für den Eigenbedarf. Vielen reicht das aber nur knapp zum Leben. In Indien ist es bis heute nicht selbstverständlich, genug zu essen zu haben.
In Wayanad war die Not in den 1990er-Jahren besonders gross. Damals dezimierten eine drastische Dürre und hartnäckige Pflanzenkrankheiten die Ernte, die Preise sanken in den Keller. Viele Bauern und Bäuerinnen nahmen sich aus Verzweiflung das Leben.
Beten allein hilft in der Not nicht
Der Priester Father John arbeitete damals als Sozialarbeiter für das katholische Hilfswerk Wayanad Social Service Society. Er und andere Geistliche realisierten schnell, dass Beten allein in der Not nicht half – und erweiterten ihr Handlungsfeld.
Sie holten sich die Unterstützung von Landwirtschaftsfachleuten, gründeten eine Bauernorganisation, begannen, Kurse in Bio-Landbau anzubieten und den Bauern zu helfen, ihre Produkte in Europa zu verkaufen.
Pater wird Fabrikdirektor
Biologische Landwirtschaft braucht zwar viel Know-how, ist aber kostengünstig. Dünger und Pflanzenschutzmittel stellen die Bauern mithilfe von Kuhmist und Kompost selber her.
Zudem lassen sich die Bio-Produkte zu höheren Preisen verkaufen. Ende der 1990er-Jahre begann das Hilfswerk sein Projekt mit 99 Bäuerinnen und Bauern. Heute sind es schon 15'000, die dank dem Projekt ein neues Auskommen gefunden haben.
Vor kurzem hat das Hilfswerk sogar eine eigene Fabrik gebaut, in der Gewürze, Trockenfrüchte und Kaffee verarbeitet werden. Der einstige Priester und Sozialarbeiter Father John wurde zum Fabrikdirektor.
«Ich habe neben Theologie auch Jurisprudenz studiert, ganz ahnungslos bin ich nicht», erklärt der Geistliche lächelnd. «Ausserdem habe ich Wirtschaftsfachleute ins Boot geholt.»
Indische Bio-Gewürze im Schweizer Supermarkt
Die Verantwortung der Kirche könne sich nicht auf die Spiritualität im engeren Sinn beschränken, ist Father John überzeugt. «Was wir tun, ist auch spirituell. Wir sorgen für das Brot der Menschen, zusammen mit dem Brot Gottes. Beides gehört doch zusammen.» Er und seine Mitbrüder seien zwar keine Geschäftsleute. «Aber wenn es die Situation erfordert, handeln wir.»
Nun verfolgen Father John und seine Mitstreiterinnen ihr nächstes Ziel: 20'000 Bauern im Projekt zu haben. Angesichts der Nachfrage nach Bio-Produkten weltweit ist das kein unrealistisches Vorhaben. Den Weg in die Schweizer Supermarktregale haben die Gewürze aus Wayanad schon vor einigen Jahren gefunden.