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Besuch im Falkenspital Margit Müller, Falkenflüsterin in Abu Dhabi

Mit Instrumenten aus der Kinderheilkunde Greifvögel heilen: Im Falken-Spital in Abu Dhabi praktiziert eine kreative Tierärztin.

Vor der Rezeption tippeln die Patienten stoisch auf einer Holzstange hin und her. Über ihre scharfen Augen tragen sie Lederhauben. Sie können den glänzenden Marmorfussboden und die goldfarben bezogenen Sessel nicht sehen.

Wie in allen öffentlichen Gebäuden, blicken die männlichen Herrscher Abu Dhabis mit strengem Blick von der Wand.

Die «Doctora» aus Deutschland

Emiratis warten hier in ihren weissen, knöchellangen Kleidern und blicken kummervoll umher. Die Sorge gilt ihren gefiederten Schützlingen, von denen manche einige 10'000 Schweizer Franken gekostet haben.

Jeder Falkner kennt die Leiterin der Klinik. «Doctora» nennen sie Margit Müller, die Chefärztin aus Deutschland.

Falken beim jährlichen Gesundheits-Check

Jedes Jahr werden im Falkenhospital um die 11'000 Falken behandelt, über 75'000 waren es seit der Eröffnung 1999. Die Klinik ist mit allem ausgestattet, was auch ein Krankenhaus für Menschen bietet: Es gibt Operationssäle, Quarantänebereiche für infektiöse Krankheiten, Labor, Röntgenapparate und sogar eine Intensivstation.

Ein dunkler OP-Saal: Die Tierärzte schauen auf einen Monitor.
Legende: Ein billiges Hobby ist die Falknerei nicht: Besitzer geben im Monat ca. 350 Euro für Pflege und Medizin aus. Michael Marek

Viele Falken «kommen für Routine Check-ups, die meisten weil sie nicht gut fressen und Infektionen haben.» Denn Falken infizieren sich relativ häufig, erklärt die 49-jährige Tierärztin.

Wenn sie ein Beutetier jagen, «dann oft die schwächste Ente, und die ist in vielen Fällen eine erkrankte.» Daneben werden vor allem gebrochene Beine, abgeknickte Federn und Fleischwunden behandelt.

Die Gerätschaften stammen hauptsächlich aus der Kinderheilkunde. «Von der Grösse passt das auch unseren Falken», sagt Müller. «Wir haben Inkubatoren für frühgeborene Babys, die wir auf der Intensivstation verwenden.»

Falken als Familienmitglied

Besuch im Falken-Spital

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  • Das Abu Dhabi Falcon Hospital liegt ca. 35 Autominuten von Abu Dhabi City entfernt und bietet auch Führungen an.
  • Infos des Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) über die Vereinigten Arabischen Emirate.

Falken sind in der emiratischen Gesellschaft keine Haustiere, sondern Familienangehörige, die liebevoll gehegt und gepflegt werden. «Sie leben in der Familie, viele schlafen beim Besitzer im Schlafzimmer», so Müller.

Die Falken seien durch den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg der Golfstaaten eine Art Bindeglied zwischen Moderne und Tradition. Innerhalb von 50 Jahren wurden die Emiratis aus einem ärmlichen Leben in eine hochtechnologisierte Welt katapultiert.

Falknerei, ein Männerhobby

Abu Dhabi ist eine patriarchalische konstitutionelle Monarchie – ohne Regierungsparteien, ohne Opposition und ohne Gewerkschaften. Das Emirat gehört zu den reichsten Ländern der Welt.

Auch die Falknerei war und ist fest in Männerhand: «Früher dachten die Menschen hier, der grosse Falke muss das männliche Tier sein und haben ihm männliche Namen gegeben», so Müller.

Frauenkarriere im patriarchalischen System

Erst durch die moderne Medizin kam heraus, dass die grossen Falken tatsächlich Weibchen sind und ein Drittel grösser als die Männchen – eine Ausnahme im Tierreich: «Wir haben bis heute Kunden, die dies nicht glauben wollen. Denen fällt es schwer, das zu verstehen.»

Seit 16 Jahren leitet Müller die Klinik. Kein leichtes Unterfangen: «Die Falkner waren es nicht gewohnt, dass eine Frau Tierärztin ist, und die Mitarbeiter waren es nicht gewohnt, dass eine Frau hier das Sagen hat. Aber mir war klar: Ich lasse mich nicht vertreiben. Ich schaffe das trotzdem!»

Fliegende Falken im Flugzeug

Auch wenn es einige Zeit dauerte, bis die Emiratis Vertrauen zu der quirligen Deutschen fassten, so ist die Schwäbin aus Bayern mit den dunklen Wuschellocken und der Goldrandbrille heute eine geachtete Institution in Abu Dhabi.

Dass die Falken zum Alltag in den Emiraten gehören, lässt sich auch an ungewöhnlichen Orten beobachten. Etwa auf einem Flug mit der staatlichen Fluggesellschaft Etihad: Dort können Emiratis ihre Lieblinge während des Fluges in die Kabine mitnehmen.

Sendung: SRF 2 Kultur, Kontext, 20.10.2017, 09.02 Uhr

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