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Projekt in Bern: Briefe schreiben an Menschen in der Zukunft
Aus Künste im Gespräch vom 04.11.2021. Bild: KEYSTONE/Gaetan Bally
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«Briefe an die Zukunft» Was sollen Menschen in 100 Jahren von mir wissen?

Bernerinnen und Berner schreiben Briefe, die erst im Jahr 2121 zugestellt werden. Klingt gut, nur: was erzählen?

Ein Brief an die Zukunft – das klingt einfach. Doch nach der ersten Begeisterung ist schnell klar: Es ist ganz schön knifflig, an jemanden zu schreiben, der oder die in hundert Jahren lebt. «Lieber …» oder «Liebe …»? An wen soll man sich überhaupt richten?

«Briefe an die Zukunft»

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Bis am 26. Januar 2022 sind alle Bernerinnen und Berner eingeladen, einen Brief an eine Empfängerin oder einen Empfänger aus dem Jahr 2121 zu schreiben. Die Briefe können in den Kornhausbibliotheken oder im Stadtarchiv abgegeben werden. Das Stadtarchiv bewahrt sie ungeöffnet auf. Zugestellt werden sie erst in einem Jahrhundert. Weiterführende Informationen gibt es hier.

«Naheliegend ist natürlich die eigene Verwandtschaft», sagt Johannes Rühl. Der Kulturwissenschaftler ist Initiant des Projekts. Wichtig sei, die Person so klar wie möglich zu benennen, damit sie in hundert Jahren auffindbar sei. «An die Urenkel zum Beispiel. Sie werden in hundert Jahren leben und dann schon ziemlich alt sein.»

Mann wirft Brief in einen Plastikkasten.
Legende: Felix Hüppi, Direktor der Kornhausbibliotheken Bern, wirft seinen Brief ein. Stiftung Kornhausbibliotheken

Brief an einen Astronauten

Es müsse jedoch niemand aus der eigenen Familie sein. «Ich habe einen Brief an den Astronauten geschrieben, der in grösster Ferne von der Welt unterwegs ist», so Rühl. Eine Person, die es mit Sicherheit in 100 Jahren geben werde.

Allerdings solle man sich nicht zu lange mit der Adressatin aufhalten, rät Rühl. Man lerne diese Person ja nie kennen. Sie helfe vor allem, beim Schreiben konkret zu werden. «Wenn Sie jemandem im Blick haben, schreiben Sie anders und nicht einfach ‹an die Zukunft› oder ‹an die Menschheit›.»

Vielleicht hilft es, sich fürs Briefeschreiben die Zukunft in hundert Jahren auszumalen. «Ich glaube, dass die Digitalisierung, der demografische Wandel und das Streben nach einem nachhaltigen Lebensstil die grossen Kräfte der Zukunft sein werden», sagt Zukunftsforscher Joël Cachelin.

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Aus dem Archiv: Verena Blum-Bruni erzählt von Bern um 1900
aus Musikwelle Magazin vom 18.11.2020. Bild: Keystone
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Vielleicht hilft eher der Blick in die Vergangenheit und die vor hundert Jahren prägenden Ereignisse. Massgeblich sei der technische Fortschritt gewesen, erklärt Lokalhistorikerin Verena Blum-Bruni. Dank Eisenbahn und Auto sei man mobil geworden.  

Die neue Technologie habe den Alltag erleichtert. Zugleich sei er von der Angst geprägt gewesen, zu verarmen, so Blum-Bruni. «Es gab damals noch keine sozialen Einrichtungen. Man fürchtete Krankheiten, die hohe Kindersterblichkeit.»

Viele berichten vom Alltag

Kulturwissenschaftler Rühl sieht den Inhalt der Briefe pragmatisch. Möglich sei alles. Persönliches aus der Gegenwart interessiere besonders. Das zeigten Briefe aus anderen Städten, in denen er das Projekt durchgeführt hat: «Wir haben Schulklassen gebeten, Briefe zu schreiben und daraus vorzulesen.» Berührt habe ihn, wie die Kinder vor allem über ihren Alltag geschrieben hätten.

Auch Erwachsene würden viel aus dem täglichen Leben beschreiben, sagt Johannes Rühl. «Viele schreiben jetzt von der Pandemie.» Historikerinnen und Wissenschaftler dürften sich in hundert Jahren über all diese Informationen freuen.

Einige Leute zeigten viel Fantasie, so der Kulturwissenschaftler. «Einer hat geschrieben, er habe in seinem Keller eine Flasche Bordeaux vergraben. Und wenn die keiner findet, kann man die in 100 Jahren noch ausgraben.»

Satte Zinsen für einen Zukünftigen

Freuen kann sich in weiter Zukunft auch der Adressat eines anderen Briefes. Jemand sei zur Bank gegangen, habe ein Sparbuch aufgemacht und in den Brief gelegt. «Die Bank hat zugesichert, die Summe in 100 Jahren auszubezahlen.» Viel Geld sei das, sofern es keine Währungsreform gebe.

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Studie: Was wollen wir von der Zukunft wissen?
Aus Kultur Webvideos vom 06.01.2019.
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Egal also, für welche Art von Brief man sich entscheidet: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, Überraschungen inklusive. Vielleicht ist das der Reiz, dass die Zukunft letztlich immer genau das ist: eine Überraschung. Wegen des Projekts eine doppelte: 2121 ist eine Zukunft ohne uns. Und dennoch mit uns – in Briefform.

SRF 2 Kultur, Künste im Gespräch, 4.11.2021, 09:05 Uhr.

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