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Buch über Henry Kissinger Die Opfer kümmerten Kissinger nicht

Der Anspruch der USA auf Vormacht hatte oft grässliche Folgen. Das zeigt der Historiker Bernd Greiner in seiner Biografie über den umstrittenen Aussenpolitiker Henry Kissinger.

«Make America Great Again»: Der Slogan der Trump-Partei von 2016 hätte auch für die Republikaner Ende der 1960er-Jahre gepasst. Auch damals war die globale Machtstellung der Supermacht USA am Wanken: Vietnamkrieg, Erstarkung der Sowjetunion, beginnender Aufstieg von China.

Es war im Jahr 1969, als der deutschstämmige Harvard-Professor Henry Kissinger im Weissen Haus anfing – als nationaler Sicherheitsberater des frisch gewählten US-Präsidenten Richard Nixon.

Buchhinweis:

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Bernd Greiner: «Henry Kissinger. Wächter des Imperiums. Eine Biographie». C.H. Beck, 2020.

Der Egomane im Weissen Haus

Vier Jahre später wurde Kissinger Aussenminister und blieb es bis 1977. Er stellte sich in seinen insgesamt acht Jahren im Weissen Haus voll und ganz in den Dienst einer Politik, welche die geostrategische Position der USA erhalten wollte. Koste es, was es wolle.

Die fürchterlichen Auswirkungen dieser Politik für die betroffene Bevölkerung in anderen Erdteilen habe Kissinger nie im Auge gehabt. Umso so mehr seine persönliche Karriere. Das schreibt der emeritierte Geschichtsprofessor Bernd Greiner von der Universität Hamburg in seiner aktuellen Biografie über Henry Kissinger.

Der heute 97-jährige Kissinger zählt zweifelsohne zu den bekanntesten amerikanischen Politikern der neueren Zeit. Die einen halten ihn für ein politisches Ausnahmetalent. Andere für einen Kriegsverbrecher.

Der Scheinriese

Greiners flüssig geschriebene Untersuchung hängt weder dem einen noch dem anderen Extrem an. Sie stützt sich auf eine breite Quellenbasis und vermeidet sowohl Verklärung als auch Dämonisierung.

Im Resultat zeichnet Greiner Henry Kissinger als durchschnittliches Kind seiner Zeit. «Henry Kissinger», heisst es gegen Ende, sei «ein Scheinriese, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt.»

Schwarzweissbild: Kissinger steht grinsend vor einem Mikrofon. Hinter ihm geht Richard Nixon.
Legende: Auf seinen Präsdienten Richard Nixon nahm Henry Kissinger nicht mässigend Einfluss. Im Gegenteil. Getty Images / David Hume Kennerly

Bis zu diesem Fazit folgt man dem sprachgewandten Historiker gebannt, wie er Stück für Stück den Nimbus des genialen Strategen und auf Ausgleich bedachten Friedensbringers abträgt.

So erfährt man etwa, dass Kissinger Nixon darin bestärkte, die Bombardements im Vietnamkrieg auf das neutrale Kambodscha auszuweiten. Die Folge: Hunderttausende von Toten.

Nie wirkte Kissinger mässigend. Auch nicht beim Militärputsch in Chile. 1973 trug er für die von der US-Regierung unterstützte blutige Machtergreifung von Augusto Pinochet offenbar eine direkte Mitverantwortung.

Ein Kalter Krieger durch und durch

Henry Kissinger habe in erster Linie Macht ausüben wollen, schreibt Greiner, und er habe dabei – ganz der Logik des Kalten Kriegs folgend – auch vor Krieg und Gewalt nicht zurückgeschreckt. Moralische Bedenken hätten zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt.

Daran ändern laut Greiner auch Kissingers unbestrittenen Erfolge wenig: dass er den Frieden mit Vietnam mitvorbereitete, wofür er mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Oder dass er mit seiner Reisediplomatie Anfang der 1970er-Jahre zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und China beitrug.

Bei diesen Unterfangen sei Kissingers Beitrag im Grunde genommen klein gewesen, heisst es im Buch. Aber der Mann habe es dank einer perfekten Selbstinszenierung verstanden, Menschen zu täuschen und seine tatsächliche Mittelmässigkeit ins Geniale zu überhöhen.

Am Ende des Buchs fällt es schwer, dem Autor zu widersprechen, wenn er kritisiert, dass es Kissinger so gelungen sei, sich «gegen das Notwendige, aber bis heute Vertagte» zu verteidigen: «ihn wegen Mitverantwortung juristisch zur Rechenschaft zu ziehen.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 18.9.2020, 09:03 Uhr.

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