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Reinhold Beckmann – Mit ungelebtem Leben leben
Aus Sternstunde Religion vom 26.11.2023.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 57 Minuten 44 Sekunden.
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Buch von Reinhold Beckmann Ein Schuhkarton voller Briefe aus dem Krieg

Der deutsche TV-Moderator Reinhold Beckmann hat ein persönliches Buch geschrieben, das die tragischen Geschichten seiner gefallenen Onkel nacherzählt.

Kurz vor ihrem Tod im Jahr 2019 hat Reinhold Beckmann von seiner Mutter Aenne einen Schuhkarton voller Briefe erhalten. Es waren die über 100 Feldpostbriefe ihrer Brüder. Die vier blutjungen Männer hatten sie von den Fronten des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Keiner von ihnen kehrte zurück.

Dennoch waren sie präsent. In jedem Zimmer des Hauses hatte die Mutter eine Collage ihrer Porträts aufgehängt. Zuverlässig am Weihnachtsfest brach es aus ihr heraus: «Sie schimpfte mit ihrem Herrgott, mit dem sie sich sonst tief verbunden fühlte, weil er ihr so viel genommen hat», erzählt Beckmann.

Reinhold Beckmann

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Legende: Keystone / JENS KALAENE

Reinhold Beckmann (geb. 1956) ist ein deutscher Moderator, Dokumentarfilmer, Musiker, Fussballkommentator und vieles mehr. Man müsse das Leben ja irgendwie nutzen, das einem geschenkt wurde, meint er. Als Musiker hat er drei Alben veröffentlicht. 16 Jahre lang hatte er bei der ARD einen wöchentlichen Talk unter seinem eigenen Namen.

Aber seine Mutter erzählte auch viel und hielt so die Verbindung zu den Brüdern aufrecht. Sie hatte – im Gegensatz zu vielen anderen – nie die Zuversicht verloren, trotz aller Schicksalsschläge. Ihre Seele sei nie verbogen gewesen.

«Bei aller Trauer und den Tränen, die da immer wieder mal geflossen sind, hatte sie eine klare Beziehung zum Guten, war überzeugt, dass das Leben so in der Form schon richtig ist.»

Gegen das Schweigen

Nach dem Tod der Mutter berichtete niemand mehr über die Brüder. Beckmann entschied, sich ihrer Geschichten anzunehmen. Dabei konnte er die Briefe zunächst gar nicht lesen, weil sie in Sütterlinschrift verfasst waren. Für deren Übersetzung half ihm der «Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge».

Buchhinweis

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Reinhold Beckmann: «Aenne und ihre Brüder. Die Geschichte meiner Mutter.» Propyläen, 2023.

Anhand der Feldpost schrieb er ein Buch über seine vier Onkel: «Aenne und ihre Brüder» heisst es, ein Buch gegen das Schweigen über den Krieg.

  • Da ist etwa Franz, mit Jahrgang 1913 der Älteste. Der Krieg fährt ihm mitten in die Lebensplanung, nimmt ihm alle Chancen. Gerne hätte er noch eine Werkstatt aufgebaut, sich verlieben und eine Frau finden wollen.
  • Alfons, ein lebenslustiger Frauenheld, stirbt 22-jährig an Heiligabend, aber wird 61 Jahre lang vermisst. Erst 2003 findet man ihn in einem Bunker in Stalingrad.
  • Hans, ein Karrierist, heiratet sogar während des Krieges und bekommt eine Tochter.
  • Und Willi, das Nesthäkchen, wird im letzten Kriegsjahr eingezogen und stirbt mit 17 Jahren.
  • Die Hoffnung, nicht vergessen zu werden

Die Familie seiner Mutter kam aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Osnabrück. Ab 1941/42 wurden die jungen Männer nach Russland versetzt und ihre Briefe melancholischer.

«Zum Schluss ist kaum mehr etwas von ihrer einstigen Verbindung zu Gott sichtbar. Stattdessen von den Sehnsüchten, wieder ins normale Leben zurückzukehren und der Hoffnung, nicht vergessen zu werden», so Beckmann.

Ein Mann mittleren Alters mit feiner Brille.
Legende: Dem Militär gegenüber stets kritisch eingestellt: Reinhold Beckmann. Getty Images / Henning Angerer / Bongarts

Wegen dieser tragischen Geschichten, den vielen ungelebten Leben, wie er sie nennt, verweigerte Beckmann den Wehrdienst. In den 1970er-Jahren musste man dafür vor Gericht erscheinen und sich in einer Gewissensprüfung erklären. Die Vorsitzenden hätten ihn schikaniert und ausgelacht, erzählt er.

Musik gegen das Vergessen

Beckmann hielt diese Geschichten aber nicht nur als Buch fest, sondern verpackte das Unsägliche auch in Musik: «Eine Hand hat fünf Finger, wenn vier fehlen, ist es noch eine Hand?», fragt er in einem Lied und antwortet damit darauf, wie man sich erinnern kann an das, was wirklich bleiben soll.

Dabei geht Beckmann keinesfalls geschichtsrevisionistisch vor. Er benennt klar, dass niemand mit einer weissen Weste aus diesem Vernichtungskrieg kommen kann. Aber es wird klar: Ein Krieg ist nicht dann vorbei, wenn die Waffen ruhen. Er muss erst verschmerzt, die Antlitze, die darin verschwanden, erinnert werden.

Video
Reinhold Beckmann: Der TV-Talker als Musiker
Aus Glanz & Gloria vom 02.12.2014.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 48 Sekunden.

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Sternstunde Religion, 26.11.2023, 10 Uhr

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