Schweizer Kulturschaffende sind in der Corona-Pandemie stark unter Druck geraten. Das zeigen die neuen Zahlen, die das Bundesamts für Statistik (BFS) heute veröffentlich hat.
Demnach ist die Zahl der Kulturschaffenden im vergangenen Jahr um rund 5 Prozent gesunken. Vermutlich seien noch viel mehr betroffen, sagt Alex Meszmer, Geschäftsleiter des Kultur Dachverbandes Suisseculture.
SRF: Fünf Prozent aller Kulturschaffenden haben im vergangenen Jahr ihren Job verloren. Gezählt wurden allerdings nur Festangestellte. Was sagt diese Zahl aus?
Alex Meszmer: Die Zahlen sind erschreckend. Aber wir gehen davon aus, dass sie sehr viel höher liegen und es eine grosse Dunkelziffer gibt. Sie erscheint nicht in dieser Statistik, weil es für das BFS schwierig ist, die Vielfältigkeit und die Diversität der Lebensplanung von Kulturschaffenden zu erfassen.
Das Bundesamt für Statistik hat den Begriff der Kulturschaffenden ziemlich weit gefasst. Gezählt wurden Architektinnen, Buchhalter in Theater oder Grafikerinnen in Banken. Wie sinnvoll ist so eine Erhebung?
Die Abgrenzung ist nicht ganz einfach. Das BFS bezieht sich auf Eurostat und auf der europäischen Ebene gibt es Ansatzpunkte, auch zum Beispiel beim Kulturprogramm «Creative Europe», nicht zwischen der Kreativwirtschaft und der Kultur zu unterscheiden.
Wenn wir die Zahlen differenzierter anschauen und Kulturschaffende im engeren Sinn nehmen, also Künstlerinnen und Künstler, so haben etwas über ein Prozent ihre Stelle verloren. Das klingt nach wenig?
Das kommt daher, dass in der Statistik die selbstständig Erwerbenden fehlen. Und diese machen nun mal einen Grossteil der Kulturschaffenden aus. Das sind also Kleinstbetriebe mit einem Mitarbeiter oder maximal bis drei Mitarbeitenden.
Dazu kommt, dass auch die Freischaffenden fehlen. Das sind Kulturschaffende mit mehreren kurzen und kurzfristigen Anstellungen, etwa im Theaterbereich für einzelne Aufführungen.
Wenn die Kulturunternehmen nicht überleben, trifft es auch die Kulturschaffenden.
In diesem Fall verlieren die Leute eben die Stelle, weil entweder der Betrieb sehr leise Konkurs gegangen ist oder sie keine neuen Anstellungen bekommen haben.
Das BFS hat die Zahlen vom letzten Jahr angeschaut. Wie sieht es in diesem Jahr aus?
Eigentlich können wir dazu noch keine Aussagen machen. Wichtig dabei wird sein, wie effektiv die Unterstützungsmassnahmen vom Bund für die Kulturschaffenden sind.
Dazu gehört auch, dass möglichst wenig Kulturschaffende in die Sozialhilfe fallen. Sozialhilfe bedeutet, dass es heisst «Oh, so eine schöne Geige, die verkaufen wir jetzt erstmal. Danach kann es vielleicht Sozialhilfe geben.» So etwas verunmöglicht Kulturschaffenden den Wiedereinstieg.
Die Frage betrifft ja nicht nur die Kulturschaffenden, sondern auch die Kulturunternehmen und die Kulturinstitutionen. Wenn die nicht überleben, dann trifft es zum Schluss auch die Kulturschaffenden, weil es dann keine Veranstaltungsorte mehr gibt.
Und: Die Schweiz ist ein sehr kleiner Markt. Damit Kulturschaffende überleben können, braucht es auch viele Events, die im Ausland laufen. Die Reisebeschränkungen haben hier zusätzliche eine einschneidende Wirkung. Noch können wir nicht sagen, wie sich das auswirkt.
Haben Sie das Gefühl, dass die abgesprungenen Künstlerinnen und Künstler wieder in die Kunstwelt zurückkommen?
Ich habe eine grosse Hoffnung und auch ein Grundvertrauen in die Wandlungsfähigkeit, die Anpassungsfähigkeit und in die Kreativität von Kulturschaffenden.
Auf der anderen Seite hat die Pandemie die Wahrnehmung für die Wirklichkeiten in der Kultur und der Politik geschärft. Sie hat auch die Probleme aufgezeigt, die vorher schon da waren und die sich in der Pandemie noch verstärkt haben. Wir hoffen natürlich, dass wir in der Zukunft konstruktive Verbesserungen für die Kulturschaffenden erreichen können.