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Religionsexperte Georg Otto Schmid über katholische Verschwörungstheorien.
Aus Kultur-Aktualität vom 14.05.2020. Bild: Getty Images / Godong
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Corona und radikale Katholiken «Sie sehen im Lockdown einen Anschlag antichristlicher Mächte»

Namhafte katholische Würdenträger warnen in einem offenen Brief: Es gebe Kräfte, die mit Covid-19 in der Bevölkerung Panik erzeugen wollten, um die Freiheit aller dauerhaft zu begrenzen. Sie wollten eine Weltregierung schaffen, die sich jeder Kontrolle entziehe.

Religionsexperte Georg Otto Schmid kennt diese Argumentation. Sie ist alles andere als neu.

Georg Otto Schmid

Georg Otto Schmid

Religionsexperte

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Der Religionsexperte Georg Otto Schmid ist seit 2014 Leiter der Evangelischen Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen «Relinfo». Er übernahm die Leitung von seinem Vater, dem Religionswissenschaftler Georg Schmid.

SRF: Warum hören sich Vertreter der katholischen Kirche wie Verschwörungstheoretiker an?

Georg Otto Schmid: Radikale rechtskatholische Kreise, um die es hier geht, lehnen die moderne Gesellschaft und ihre Werte ab. Sie ziehen sich in ihr eigenes Milieu zurück, wo sie dann ihre Religion und ihre Moral nach eigenen Vorstellungen leben und dabei möglichst in Ruhe gelassen werden wollen.

Rechtskonservative Kreise pflegen einen intensiven Wunderglauben.

Der Lockdown hat dieses Leben nun verunmöglicht. Und weil diese Kreise schwarz-weiss denken, sehen sie im Lockdown einen Anschlag antichristlicher Mächte, die eine antikirchliche Welt-Diktatur errichten wollen. Diese Verschwörungstheorie existiert in katholischen Kreisen schon länger.

Das Manifest stammt vom Erzbischof Carlo Maria Viganò. Wer ist das?

Viganò ist ein italienischer Kirchenrechtler, der in verschiedenen Funktionen für den Vatikan tätig war. Er ist einer der bekanntesten Kritiker von Papst Franziskus.

Viganò hat ihn offiziell zum Rücktritt aufgefordert, weil Franziskus zu wenig gegen Homosexualität in der Kirche unternehmen würde.

Älterer Mann mit kuten Haaren und Brille
Legende: Erzbischof Carlo Maria Viganò ist Initiant des offenen Briefes. Keystone / PATRICK SEMANSKY

Ausserdem haben drei Kardinäle und acht Bischöfe unterzeichnet. Alle sind bekannt als Hardliner. Was bezwecken sie mit diesem Appell?

Die Unterzeichner teilen, soweit das bekannt ist, die Vorstellungen des Schreibens: Sie sind tatsächlich der Überzeugung, gegen eine bevorstehende antichristliche Diktatur ankämpfen zu müssen.

Das ist eine Randgruppe, da dürfen wir nicht auf die ganze katholische Kirche folgern.

Viganò fordert, die Bäder von Lourdes seien wieder zu öffnen. Man sei dort vor Ansteckung sicher. Macht er das wider besseres Wissen, oder steckt eine Strategie dahinter?

Das ist wohl echte Überzeugung. Rechtskonservative Kreise pflegen einen intensiven Wunderglauben.

Ähnliche Vorstellungen zu einem wunderbaren Schutz vor Corona konnte man auch in konservativen Richtungen anderer Religionen beobachten: In radikalen Freikirchen oder im orthodoxen Judentum war der Glaube da, dass Gott die besonders Gläubigen in besonderer Weise beschützt. Das hat zum Teil zu überdurchschnittlichen Infektionsraten geführt.

Wissenschaftsfeindlichkeit ist in der katholischen Kirche ein uraltes Thema. Das scheint offensichtlich nicht aus der Welt zu schaffen sein.

Die ganz grosse Mehrheit der katholischen Menschen, auch der katholischen Amtsträger, hat heute mit der Wissenschaft keinerlei Probleme. Es handelt sich hier um eine wissenschaftskritische Randgruppe, wie wir sie auch in anderen Kreisen finden.

Zum Beispiel unter universitären Wissenschaftlern selbst. Wenn es einzelne Universitätsprofessoren gibt, die wissenschaftskritische Theorien verbreiten, würden wir auch nicht folgern, dass die Wissenschaft als Ganzes wissenschaftsfeindlich ist. Das ist eine Randgruppe, da dürfen wir nicht auf die ganze katholische Kirche folgern.

Das Gespräch führte Anneliese Tenisch.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 14.5.2020, 6.50 Uhr.;

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