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Coronakrise in der Kultur Italien pfeift auf seine Musiker

Keine Gigs, kein Geld: Italienische Musiker litten während dem Lockdown. Jetzt lässt sie auch noch die Regierung hängen. Dafür erhalten Museen Millionen.

Covid-19 hat in Italien besonders hart gewütet. Lange kümmerte sich die Politik aus verständlichen Gründen nur um die Notverwaltung des Gesundheitssystems.

Erst an zweiter Stelle kamen soziale Hilfen für Millionen von Menschen, die aufgrund des Lockdowns und der Beschränkungen ihre Arbeit verloren hatten oder weniger verdienten.

Musikerinnen fallen durch das Sozialnetz

Die Regierung beschloss zwar ein Kurzarbeitergeld, doch davon profitieren nur Festangestellte. Die meisten italienischen Musiker und Sänger sind Freiberufler.

Nur 600 Euro als Einmalzahlung wurden ihnen zugesichert. Doch bis dieser gemäss Tageszeitung Corriere della sera «finanzielle Tropfen auf den heissen Stein» überwiesen wird, können Monate vergehen.

Freiberufliche Sänger und Musikerinnen werden vom Gesetzgeber ignoriert. Italien sieht für diese Berufsgruppe weder einen legalen, sozialen, noch fiskalen Status vor, aus dem Rechte resultieren, die eingefordert werden können.

So müssen diese Künstler zwar Steuern zahlen, doch daraus entstehen keine Ansprüche etwa auf Arbeitslosengeld im Notfall.

Auftreten, wo es Geld gibt

Die Folge: Tausende freiberufliche Sängerinnen und Musiker haben auf einen Schlag keine Einnahmen mehr. Wer kann, tritt auf, wo es Geld gibt.

Auf den Terrassen der wenigen inzwischen wiedereröffneten Hotels, um Hotelgäste mit Opernmusik zu unterhalten. Oder bei schlechtbezahlten Konzerten oder auch als Strassenmusiker.

Auf die Hilfe von Caritas angewiesen

Ohne Einnahmen bleibt oftmals nur die Hilfe von auswärts: durch die eigenen Eltern oder auch die Caritas Italiana.

Sie weist auf Nachfrage darauf hin, dass in ganz Italien einige hundert Musiker und Sängerinnen mindestens einmal am Tag eine Tafel aufsuchen, um wenigstens eine warme Mahlzeit zu haben.

Geld geht an Aushängeschilder

Während Künstler leer ausgehen, macht das Kulturministerium rund 120 Millionen Euro für kulturelle Institutionen locker.

Etwa für die Uffizien in Florenz: Die erhalten zwölf Millionen Euro, um sich von dem japanischen Architekten Arata Isozaki ein neues Dach über dem Ausgang des Museums errichten zu lassen.

ein Mann dirigiert ein Orchester
Legende: Dirigent Riccardo Muti, hier am Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, setzt sich ein für seine Berufskollegen. APA/HANS PUNZ

Stardirigent Riccardo Muti ist nicht der einzige, der diese Kulturpolitik skandalös findet und eine finanzielle Unterstützung von Sängern und Musikerinnen, wie etwa in Deutschland, einfordert. Unerhörte Forderungen, denn auf diesem Ohr ist die Regierung taub.

Unglaublich, aber wahr

Dieses staatliche Desinteresse an der Lebensrealität der Künstler hat Tradition. Obwohl in Italien die Oper entstand und es eine grosse Opern- und Musikkultur gibt, existieren keine Gesetze zur sozialen und finanziellen Unterstützung von Musikerinnen und Sängern.

Grosse Hoffnung setzen die Betroffenen deshalb auf den Geldsegen aus Brüssel, um die Folgen der Pandemie zu lindern. Doch unter den rund 700 Projekten der Regierung, der Regionen und Kommunen finden sich nicht ein einziges, das sich mit den Problemen der von Covid-19 betroffenen Sänger auseinandersetzt.

Sendung: Radio SRF2 Kultur, Kultur Aktuell, 14.09.2020, 7:05 Uhr

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