Liebe, so Matthias Horx, ist ein wilder Mix aus Hormonen, Bedürfnissen und Erfahrungen. Das macht sie ebenso unberechenbar wie interessant.
Dating-Plattformen allerdings müssen zwangsläufig scheitern, weil sie ihre Algorithmen auf Ähnlichkeit aufbauen. In der Natur des Menschen liegt das genaue Gegenteil davon. Hier findet sich mit Vorliebe Gegensätzliches. Und das verwirklicht sich mit etwas Glück zu etwas Gemeinsamen.
Der Zukunftsforscher Matthias Horx ist letztlich Romantiker und glaubt an die Liebe, gibt ihr Zukunft. Grade weil sie so wild und unberechenbar ist.
Liebe ist Biochemie
Es sind zuallererst die Hormone, die uns steuern. Oxytocin, zum Beispiel sorgt dafür, dass wir in den entscheidenden Momenten keine Angst entwickeln, dem Fluchtreflex wiederstehen, Vertrauen fassen.
Oxytocin ist das ultimative Wohlfühl-Hormon, das immer dann ausgestossen wird, wenn es zwischen zwei Menschen funkt und sich von irgendwoher ein evolutionärer Vorteil ankündigt. Eltern werden damit bei der Geburt regelrecht geflutet. Durchaus zum Vorteil des kümmerlichen Mangelwesens, das sie zur Welt gebracht haben.
Matthias Horx ist nüchtern in seiner Analyse. Menschen funktionieren und kooperieren, weil sie ein starkes biochemisch verankertes Sozialmodul in sich tragen. Das Modul ermöglicht Familie, Liebe und Gesellschaft. Daran wird sich vorderhand nichts ändern.
Ist Sex vom Aussterben bedroht?
Grund zur Sorge in Sachen Liebe und Sex gibt es dennoch. Zumindest wenn man nach Japan schaut. Dort verlieren immer mehr Menschen das Interesse am anderen Geschlecht.
60 Prozent der jungen Japanerinnen bis 35 sind Single. 40 Prozent der japanischen Paare unter 40 geben in Befragungen an, keinen Sex zu haben. Japanische Männer, so hat Horx beobachtet, empfinden Frauen als teuer, anstrengend, fremd und seltsam.
Pornos und Cybersex
Es erstaunt nicht, das Cybersex in Japan besonders boomt und Roboter sich auch als Partner immer grösser Beliebtheit erfreuen. Japan ist, so beschreibt es Horx «die futuristischste Gesellschaft der Welt – und zugleich die konservativste».
Japan ist ein Sonderfall, nicht zuletzt wegen einer Denkweise, die selbst Steinen eine Seele zuzuschreiben bereit ist. Roboter haben es somit definitiv leichter in Japan.
Aber Roboter und Computer verlocken zunehmend auch im Rest der Welt. Immer häufiger etwa wird bereits bei jungen Männern erektile Dysfunktion diagnostiziert. Der Grund: eine dominante Prägung durch Pornokonsums. Auch hier kicken die Hormone, sobald sie angefixt sind.
Polyamorie könnte zum Alltag werden
Was ist denn nun mit der Zukunft? Die sieht Matthias Horx nicht ganz so rosig, wie es das Pink seines Buchumschlags vermuten lässt. In kapitalistischen Zusammenhängen gerate die Liebe durchaus unter Druck.
Er findet es bemerkenswert, dass sich ausgerechnet in den emanzipierten Wohlstands-Gesellschaften eine Polarisierung der Geschlechter-Archetypen beobachten lässt, Girlie grüsst Bodybuilder.
Dennoch werden sich gerade in diesen Gesellschaften in Zukunft die Beziehungsmöglichkeiten weiter auffächern. Polyamorie wird nicht mehr nur modischer Gesprächsstoff sein, sondern möglicherweise Alltag und wohl mindestens so selbstverständlich wie Homosexualität.
Neue Gesellschaftliche Verhältnisse bringen neue Formen der Partnernarrative mit sich. Matthias Horx, der Beobachter und Analytiker setzt ans Ende seines vielschichtig gewobenen Buches ein Plädoyer für die, wie er es nennt, «coevolutionäre Partnerschaft». Die Maxime dafür lautet: Treue zum Partner und Treue zu sich selbst. Wobei der letzte Punkt Horx der durchaus wichtigere scheint.