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Da haben wir die Bescherung «Wir schenken uns nichts!»: Warum das keine gute Idee ist

Immer öfters schenken sich Herr und Frau Schweizer nichts. Doch wer das Schenken ernst nimmt, kann ziemlich viel gewinnen.

Alle Jahre wieder stellt sich die weihnachtliche Gretchenfrage: Schenken oder nicht schenken?

Während sich die einen in den Sonntagsverkauf stürzen, Weihnachtsmärkte abklappern oder Onlineshops durchforsten, verweigern sich die anderen rundweg dem Rummel um die Bescherung. «Wir schenken uns nichts», heisst es dann im Brustton der Überzeugung.

Die Krux mit der unpassenden Handtasche

Rein ökonomisch gesehen, spricht ja einiges für radikale Schenkverweigerung. Zwar sorgt das Weihnachtsgeschäft für klingelnde Kassen und ist für viele Geschäfte überlebensnotwendig.

Weihnachtsgeschenke sind eine Orgie der Wertvernichtung.
Autor: Joel Waldfogel Ökonom

Der US-amerikanische Ökonom Joel Waldfogel hat fürs Christmas Shopping dennoch nichts übrig. Gemessen an dem Geld, das wir in die Präsente investieren, ist die weihnachtliche Bescherung selten ein Gewinn: Die Chance, dass der Pulli, die Vase oder die Handtasche unseren Geschmack genauso treffen, wie wenn wir die Artikel selbst ausgesucht hätten, stehen nicht besonders gut.

Zwei adrett gekleidete Knaben stehen im Wohnzimmer, der eine hält ein rotes Geschenkpapier, der andere eine Unterhose.
Legende: Im Ernst jetzt? Auch so genannt «sinnvolle Geschenke» finden nicht immer Anklang – erst recht nicht bei Kindern. Getty Images / Alan Powdrill

Weihnachten als «Orgie der Wertvernichtung»

Vielmehr ist es umgekehrt: Das Risiko ist gross, mit Präsenten überrascht zu werden, die uns nicht gefallen oder wir nicht einmal brauchen können. Steht nicht in jedem Haushalt die berühmt-berüchtigte Alessi-Saftpresse? Ist nicht jedes Büchergestell mit Kunstfolianten beladen, die man nicht einmal durchgeblättert hat?

Waldfogels Fazit ist vernichtend: Weihnachtsgeschenke sind für ihn eine «Orgie der Wertvernichtung». Ökonomisch effizient ist ausschliesslich das Geschenk, das man sich selber macht.

Wer es partout nicht lassen kann, seinen Liebsten etwas unter den Baum zu legen, sollte es mit Geldgeschenken versuchen oder auf breit einsetzbare Gutscheine ausweichen: Die Beschenkten können dann ihre Wünsche passgenau erfüllen, und die schenkende Person muss keinen Fauxpas befürchten.

Revanchieren – auf den Rappen genau!

Alternativ bieten sich etwa zu Geburtstagen oder Hochzeiten Wunschlisten an, auf denen Jubilare oder Liebespaare vermerken, was sie brauchen könnten. Mit einem abtrennbaren Coupon oder einem Klick auf der digitalen Wunschliste kann man die Grillzange oder die Kristallkaraffe frei Haus liefern lassen. Jedes Geschenk garantiert ein Volltreffer!

Wie viel es gekostet hat, sehen Gebende wie Empfangende. Bei nächster Gelegenheit kann man sich also auf den Rappen genau revanchieren. Effizienter geht nimmer!

Schenken ist kein Tauschhandel

Doch geht es beim Schenken tatsächlich um Effizienz? Der US-amerikanische Philosoph Michael Sandel ist anderer Meinung. Die Ökonomisierung der gegenseitigen Bescherung zerstört für ihn die Idee des Schenkens überhaupt.

Schenken ist immer ein Risiko.

In seinem Buch «Was man für Geld nicht kaufen kann» kritisiert er deshalb den Trend zum Geldgeschenk und Gutschein. Wer mit einem Präsent die Konsumvorlieben seines Gegenübers optimal erfüllen will und darauf abzielt, möglichst denselben Wert wieder einzufahren, den man selbst investiert hat, verwechsle das Schenken mit dem Tauschen.

Beim Tauschhandel geht es durchaus darum, den bestmöglichen Deal abzuschliessen: Zu bekommen, was man braucht, und nicht mehr zu investieren, als die Gabe wert ist.

Schenken ist per se unberechenbar

Ein Geschenk jedoch muss weder lohnen noch seine Investition wert sein. Wahre Geschenke hätten vielmehr die Funktion, die Beziehung zwischen zwei Menschen zu festigen, schreibt Michael Sandel. Indem wir uns Gedanken machen, wie wir unsere Liebsten überraschen könnten und worüber sie sich freuen würden, zeigen wir, dass uns an ihnen liegt.

Anders, als wenn wir ihnen Geld schenken, signalisieren wir mit einem persönlichen Geschenk aber auch, dass eine Beziehung immer unberechenbar ist: Wir können nie abschliessend wissen, ob wir die Wünsche des Gegenübers richtig deuten und sich unsere Hingabe auszahlt. Beginnen wir in der Nahbeziehung jedoch zu rechnen, ist es mit der Liebe auch schon vorbei.

Der Versuch ist, was zählt

Schenken bleibt damit stets risikobehaftet: Vielleicht mag meine Freundin den Schal nicht, möglicherweise hat der Freund das Buch schon. Immerhin hat man es versucht, und dieser Versuch allein ist eine Freude wert.

Sicher: Der Geldgutschein gefällt immer. Dennoch bleibt er seltsam unterkühlt – es sei denn, man verhelfe einem Patenkind mit einem Batzen zu einem Geschenk, das sich nur mit vereinten Kräften anschaffen lässt.

Das immaterielle Investment

Die Losung «Dieses Jahr schenken wir uns nichts» mag den einen oder anderen freilich auch aus ökologischen Gründen einleuchten. Der Konsumrausch lässt sich mit Nachhaltigkeit nur schwer vereinbaren.

Doch Nachhaltigkeit spricht nicht gegen das Schenken an sich: Der Kerzenständer aus dem Brockenhaus, den man zuhause auf Hochglanz poliert, oder die eingemachten Früchte im selbst bemalten Glas dürften eine einwandfreie Ökobilanz aufweisen.

Vor allem aber punkten sie mit einem immateriellen Investment: nämlich mit der Zeit, die man sich nimmt, um für einen geliebten Menschen etwas Schönes zu zaubern.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 22.12.2021, 7:06 Uhr

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