- St. Peter-Ording an der Nordseeküste ist das Paradies für Bernstein-Sammler. Boy Jös lebt dort als einer der letzten Bernstein-Schleifer .
- Der grösste Teil der Bernstein-Bearbeitung wurde in den letzten Jahren industrialisiert und nach China ausgelagert.
- Bernstein ist doppelt so teuer wie Gold. Grund dafür ist die starke Nachfrage aus Asien .
Eine grosse Leidenschaft
Boy Jöns ist Bernstein-Schleifer in der dritten Generation. Der 53-Jährige lebt und arbeitet in St. Peter-Ording an der deutschen Nordseeküste.
Das Kurheilbad liegt etwa 150 Kilometer nordwestlich von Hamburg entfernt, am Rande der grössten zusammenhängenden Wattlandschaft der Welt. «Erst holt der Mann den Bernstein und dann der Bernstein den Mann», beschreibt Jöns seine Leidenschaft. «Man wird süchtig, Bernstein ist ein Virus.»
100 Kilo Bernstein pro Jahr
Seit tausenden von Jahren fasziniert der Bernstein den Menschen. Schon in der Steinzeit war er ein begehrter Schmuckstein. Bernstein entstand ungefähr zu der Zeit, als die Dinosaurier ausstarben. Mit etwas Glück kann man ihn nach einem Sturm im Watt finden.
Nirgendwo geht das besser als in St. Peter-Ording, einem wahren Paradies für Bernstein-Sammler: Pro Jahr werden hier etwa 100 Kilogramm Bernstein gefunden. Das entspricht fast der Hälfte der jährlichen Fundmenge an Deutschlands Küsten.
Massenfertigung in Asien
Jöns ist der letzte Bernsteinschleifer Norddeutschlands. Krauses Haar, schwarze, wuschige Augenbrauen, sonore Bass-Stimme. Er bedauert, dass der Beruf des Bernsteinschleifers oder -drechslers fast ganz verschwunden ist.
«Wir leben in einer arbeitsteiligen Welt. Handarbeit wandert dort hin, wo sie günstiger ist. So ist die Bernstein-Bearbeitung in den letzten zehn Jahren leider nach China gegangen.» Handwerkliche Feinheiten und Finesse seien in der dortigen Massenfertigung verlorengegangen.
Zahnpasta als Poliermittel
Mehrere Schleifmaschinen stehen in der Werkstatt von Jöns. Überall liegen rohe Bernsteine nach Grösse und Farbe sortiert herum: «Das ist im Grunde der letzte Arbeitsschritt. Nach dem groben Vorschliff kommt der Feinschliff. Da kann man sehr schnell einen Traumglanz aus dem Bernstein herauskitzeln.»
Geschliffen mit grobem Sandpapier, um vorsichtig die äusserste Schicht des Steins zu entfernt. Poliert wird mit Zahnpasta. Anschliessend wäscht Jöns die Steine. Aus dem matten Material sind am Ende glänzende, wie Edelsteine funkelnde Schmuckstücke entstanden.
Ewiges Rätsel
Die Steine , die keine sind, geben immer noch viele Rätsel auf. Niemand weiss genau, wo der Wald stand, aus dessen Bäumen das Harz tropfte. Vermutlich aber im Gebiet zwischen dem heutigen Kopenhagen und St. Petersburg.
Die Ostsee gab es vor 50 Millionen Jahren noch nicht. Geradezu mysteriös ist bis heute, warum sich in Bernsteinen keine Kiefernnadeln finden. Denn eigentlich logisch, dass sie am Harz hätten kleben bleiben müssen, wenn es zu Boden tropfte.
Teurer als Gold
Im deutschen Sprachgebrauch wird Bernstein als «Gold des Meeres» bezeichnet. Der Begriff bezieht sich dabei auf das charakteristische Äussere des Steins: seinen Schimmer und die goldbräunliche Färbung.
In den letzten Jahren hat Bernstein enorm an Wert gewonnen und ist mittlerweile fast doppelt so teuer wie Gold. Grund dafür ist die hohe Nachfrage aus dem Ausland, erklärt Jöns. «Besonders viele Chinesen interessieren sich für helle, gelbe Töne.» Gelb gilt in China als Farbe des Wohlstandes.
Echtheitstest
Gleichwohl werden die honigfarbenen Bernsteine gerne gefälscht. Relativ einfach lassen sich aus Kunstharzen bernsteinähnliche Erzeugnisse herstellen. Diese sind für den Laien nur schwer von echtem Bernstein zu unterscheiden.
Um herauszufinden, was echt ist und was nicht, gibt es aber eine einfache Methode. Man zündet den Stein an. Verbrennt er, war es Bernstein. Jöns zündet zum Beweis einen Bernstein mit seinem Feuerzeug an. Es lodert, es qualmt, und ein beissender Geruch breitet sich aus. Dagegen entfaltet Bernstein beim Schleifen und Bearbeiten einen angenehmen Duft, denn die ätherischen Öle des Baumharzes sind über die Jahrmillionen immer noch konserviert.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 17:22 Uhr, 8.2.2017