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«Das neue Evangelium» Was sehen Sie in Jesus, Milo Rau?

Ausgerechnet der Film- und Theaterregisseur Milo Rau hat einen Jesus-Film gedreht. Was fasziniert den bekennenden Marxisten an der Bibel?

Die Jesus-Figur in Milo Raus neuem Film «Das neue Evangelium» ist ein Sozialrevolutionär und Widerstandskämpfer, der gegen die ausbeuterischen Verhältnisse auf den italienischen Tomatenfeldern kämpft.

Doch Yvan Sagnet, der Protagonist, spielt das nicht nur. Er ist es auch im realen Leben. Auch alle Apostel in Raus Film sind im Leben echte Betroffene – vom Land- über die Sexarbeiterin.

Alles Apostel

So bringt Rau die aktuellen sozialen und humanitären Missstände in Italien mit dem «kapitalistischen Sklavenstaat» des römischen Reiches zu Zeiten Jesu auf die gleiche Ebene.

«Wir sind noch in einer sehr ähnlichen Situation der Ausbeutung wie damals», sagt Rau.

Neuinterpretation der Bibel

Ein Mann steht inmitten einer Menge. Er hält ein Mikrofon in einer Hand und streckt die Faust hoch.
Legende: Film-Jesus Yvan Sagnet (mit Mikrofon) ist im echten Leben Politaktivist, seine Apostel Tagelöhner. Fruitmarket/Langfilm/IIPM/Photo by Armin Smailovic

Weshalb braucht es denn ein neues Evangelium, wenn doch die christlichen Botschaften ihrem Anspruch nach zeitlos sind?

Eine Neu-Interpretation dessen, was die Bibel uns heute sagt, tue stets not. «Ich wäre ja froh, wenn diese Bibel irgendwann nicht mehr gebraucht wird», sagt Rau.

Männer stehen auf einem Boot.
Legende: Die «Jünger» in Raus Film: Geflüchtete, die über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind, um auf den Tomatenfeldern Süditaliens versklavt zu werden. Fruitmarket/Langfilm/IIPM

Er selbst habe das Neue Testament erst vor Beginn der Dreharbeiten detailliert zu lesen begonnen. Dadurch habe er auch eine Beziehung zur Figur Jesus entwickelt, die er eben als einen Sozialrevolutionären versteht, als jemanden, der «für die Würde des Menschen» kämpft. «Ein unglaublich interessanter Charakter», findet Rau.

Infos zum Film

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In «Das neue Evangelium» kehrt der Schweizer Regisseur Milo Rau gemeinsam mit dem Politaktivisten Yvan Sagnet in der süditalienischen Stadt Matera zu den Ursprüngen des Evangeliums zurück und entwirft ein neues Evangelium für das 21. Jahrhundert.

Mitgewirkt haben neben Geflüchteten, Aktivistinnen und Bürgerinnen der europäischen Kulturhauptstadt Matera, auch Marcello Fonte (europäischer Filmpreis als bester Darsteller 2018) und Maia Morgenstern (Darstellerin der Maria in Mel Gibsons «The Passion of Christ»).

Hier gehts zum Trailer.

Transparentes Scheitern

Fasziniert ist der Filmemacher auch davon, dass die Bibel das Scheitern dieser Figur nicht verheimliche. Jesus sei «der einzige Messias der Weltgeschichte, der verraten, verleugnet und ans Kreuz genagelt wird.»

Die Bibel glorifiziere Jesus also nicht einfach, sondern zeichne dessen «schwierigen Charakter» nach und verhehle nicht, wie er die Kontrolle über seine Gefolgschaft verliere. Deshalb sieht Rau darin auch «ein sehr ehrliches Buch», das ganz unterschiedliche Perspektiven in sich vereine.

Ein grosses Casting

«Mich interessiert die Gespaltenheit des Menschen», so Rau. Auch die «Schwierigkeit von Solidarität» beschäftigt ihn.

Ausgerechnet in der Bibel findet er ein Zeugnis davon, was es bedeutet, wenn unterschiedlichste Gruppen von Menschen zusammenarbeiten müssen. «Für mich ist das Neue Testament ein grosses Casting jener Menschen, die an den Peripherien der Gesellschaft leben.»

Ein Mann hebt die Faust und im Hintergrund laufen demonstrierende Menschen mit Schildern.
Legende: Nach Jesus‘ Vorbild kehrt Yvan als „Menschenfischer“ in das grösste Flüchtlingslager bei Matera zurück, um dort seine „Jünger“ zu finden. Fruitmarket/Langfilm/IIPM

Verlorene Sprengkraft

Das Problem für die Bibel sei aber, «dass die Kirche sich dieses Buch angeeignet habe». Viel von seiner sozialrevolutionären Sprengkraft sei dabei verloren gegangen, meint Rau.

Er verweist auf die teilweise dramatische Kirchengeschichte, in der man sich fragen könne, für wen Jesus wirklich gekämpft hätte.

Kirche und Flüchtlingspolitik

Gleichzeitig spricht Rau voller Anerkennung von Papst Franziskus und seiner Umwelt-Enzyklika.

Er begrüsst die «sozialpolitische Lesart der Bibel», die dem Papst von konservativen Kreisen freilich auch immer wieder Kritik einbringen. Das sind äusserst versöhnliche Töne gegenüber der Religion für jemanden, der sich als Marxist versteht.

Er sei in einer säkularen Gesellschaft aufgewachsen, in der man die Kirche oft mit Pädophilie assoziiere. «Darüber muss man hinwegkommen.»

Die Kirche als Gegenbastion

Rau stellt fest: Flüchtlingshilfe, Seenotrettung – da engagiere sich die Kirche. Damit sei sie zu einer «Gegenbastion gegen eine unmenschliche Politik» geworden.

Soviel ist für Theatermann Rau klar: Das Einzige, was uns retten kann, ist unser gemeinsames Dasein, unsere Solidarität. Das Reich Gottes ist nicht im Jenseits, sondern immanent hier auf Erden.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Religion, 21.3.2021, 10:00 Uhr

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