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Das Opfer im Christentum War der Tod Jesu ein Opfer – oder ein Justizmord?

Für manche ist der Tod Jesu als Opfer ein zentraler Gedanke des Christentums. Andere würden lieber auf den Opferbegriff verzichten: Seine Wirkungsgeschichte sei zu schwierig.

Im Zentrum der Karwoche steht der Kreuzestod Jesu Christi. Er wird auch Agnus Dei, das «Lamm Gottes» genannt. Demnach wäre Jesus also ein Lamm, das geschlachtet wird.

Soll eine Schlachtung, ein kultisches Opfer, im Zentrum des Christentums stehen? Brauchte Gott tatsächlich ein Sühnopfer, um sich selbst mit den Menschen zu versöhnen?

Ein oft missbrauchtes Wort

Was glauben Kirchgängerinnen heute? Ich frage die Besucher einer römisch-katholischen Messe und eines reformierten Gottesdienstes. Ob Jesus für sie ein Opfer sei und was das bedeute, will ich wissen. Schwierige Frage – die meisten machen einen grossen Bogen um mein Mikrofon.

Mosaik von Opferung
Legende: Welches Opfer erhält Gottes Gnade? Am Opferlamm entbrannte der Streit zwischen Kain und Abel. Getty Images / DeAgostini

«Ich finde es wichtig, dass das Wort ‹Opfer› in der Kirche wieder mehr gebraucht wird», sagt einer. «Ich finde es schwierig, weil das Wort oft missbraucht wurde. Als Kind wurde mir gesagt, ich müsse mich anstrengen und Opfer bringen, es ist mir deshalb verdächtig,» sagt eine andere. «Doch, Christus hat alle Sünden auf sich genommen, und das ging nur, weil er selbst keine Sünden hatte», meint ein dritter.

Der Tod Jesu: ein Justizmord

Historisch wurde Jesus nicht als Opfer dargebracht, sagt Veronika Hoffmann, römisch-katholische Professorin für Dogmatik an der Universität Freiburg i.Ü.: «Es war ein politisch motivierter Justizmord.»

Als die Anhänger Jesu verstehen wollten, welche Bedeutung dieser Tod hatte, sprachen und schrieben sie vom «Opfer», das Gott und Menschen versöhne. So kam der Begriff ins Neue Testament.

Das «Opfer» war also ein Bild, eine Interpretation. Sie bezogen sich damit auf die Opferpraxis aus dem Alten Testament, der hebräischen Bibel. Dort gehe es aber nicht darum, sich selbst für andere aufzuopfern, sagt Hoffmann.

Sie hat insbesondere das biblische Buch Levitikus untersucht, in dem es viele Opfervorschriften gibt. Es werden dort nicht nur Tiere geopfert, sondern auch andere Dinge wie Mehl oder Öl.

Zwei Motive seien dabei zentral: Erstens sei das Opfer ein Geschenk an Gott, zweitens eine Form des gemeinsamen Festmahls mit Gott. Es gehe um Kommunikation und Gemeinschaft. Die Menschen antworteten mit ihren Opfern auf das Handeln Gottes. In diesem Sinne könnte das Leben und Sterben von Jesus als Opfer verstanden werden: als «Knotenpunkt» der Beziehung zwischen Gott und Mensch.

«Das Opfer ist eine leere Formel»

Diese ganzen Vorstellungen seien missverständlich und viel zu weit weg von unserm Leben heute, erwidert Reinhold Bernhardt, evangelischer Professor für Dogmatik an der Universität Basel. «Brauchen wir heute nicht andere Interpretationen?» Das Bild des Opferns sei «eine leere Formel geworden».

Ausserdem sei seine Wirkungsgeschichte zu schwierig. Gerade von Kirchenfrauen wurde jahrhundertelang ein aufopferungsvoller Dienst verlangt: dass sie sich unentgeltlich einsetzen für andere und die Kirche, teilweise bis zur Selbstaufgabe. Dagegen hat sich nicht zuletzt die feministische Theologie gewehrt.

Gemälde: Nonnen an der Arbeit
Legende: Insbesondere von Frauen wurde oft verlangt, dass sie für die Kirche Opfer bringen: Nonnen bei der Arbeit. Nuns at Work / The Met Museum / The Jack and Belle Linsky Collection, 1982

In Bezug auf Jesus sieht Bernhardt den Aspekt der Hingabe als zentral an – nicht nur im Sterben, sondern auch in seinem Leben und der Verkündigung. Dass Jesus selbst am Kreuz gottverlassen war und dennoch von Gott hindurchbegleitet wurde, das sei die starke Botschaft, die Menschen bis heute tröste.

Liebe kann man nicht einfordern

Hoffmann möchte den Opferbegriff nicht aufgeben. Er sei zwar interpretationsbedürftig, aber das treffe auf viele Begriffe der Bibel zu. Sie möchte seine Bedeutung der Gabe hervorheben.

Dass lange Zeit in Predigten und in christlichen Gemeinschaften dazu aufgefordert wurde, sich im Dienst und der Nachfolge Christi «aufzuopfern», sei ähnlich schwierig, wie Liebe einzufordern: «Wenn ich etwas so Schwergewichtiges und Existenzielles von jemand anderem fordere, wird es immer falsch.» Liebe und Hingabe könne es nur freiwillig geben.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 2.4.2021, 08:30 Uhr

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