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Das Tier und wir Tiere schützen, wo Menschen hungern

Sie essen kein Fleisch, töten keine Tiere, fällen keine Bäume: die Bishnoi, eine kleine indische Glaubensgemeinschaft im Gliedstaat Rajastan. Hier, am Rand der Wüste Thar, betreiben sie seit 500 Jahren radikalen Tierschutz – just dort, wo Armut grassiert und Menschen hungern.

Es ist ein verstörendes Bild: Eine weibliche Bishnoi lässt eine verwaiste Gazelle an ihrer Brust Milch trinken. Das Bild ist aber auch symbolisch für den kompromisslosen Einsatz dieser kleinen Viehzüchterkaste und Glaubensgemeinschaft.

Respekt gegenüber Tieren und Pflanzen

Bishnoi heisst «29», denn ihr Religionsstifter, Guru Jambheshwar, stellte im 15. Jahrhundert 29 Regeln auf. Die meisten davon betreffen den Umgang mit der Umwelt: Man soll keine Tiere töten, keine grünen Bäume fällen, das Trinkwasser filtern, damit keine Lebewesen im Magen landen. Die Bishnoi halten Kühe, deren Milch sie verkaufen. Wenn die Kühe alt sind, werden sie liebevoll versorgt, bis sie eines natürlichen Todes sterben.

Heute siedeln die meisten der 2,2 Millionen Bishnoi im indischen Gliedstaat Rajastan, am Rand der Wüste Thar. Dort leben trotz misslichen Bedingungen auf einer Fläche von ca. 200'000 Quadratkilometer gut 13 Millionen Menschen. Deren Nahrung ist knapp, die wilden Tiere und die spärliche Vegetation sind unter Druck. Doch die Bishnoi sind überzeugt, dass man nur in der Wüste leben kann, wenn man ihre Lebewesen und Pflanzen respektiert. Dass sie Vegetarier sind, versteht sich von selbst.

Kampf gegen Wilderer

Die Bishnoi sind ein äusserst friedfertiges Volk. Doch den Tier- und Baumschutz nehmen sie sehr ernst und gehen gegen Wilderer vor. 1998 kam es zu einem Medienskandal, weil ein Filmstar aus Bombay in der Nähe der Stadt Jodhpur, im Siedlungsgebiet der Bishnoi, geschützte Antilopen schoss. Nach einer Verfolgungsjagd stellten die Bishnoi-Tierschützer den Star, und er landete hinter Gittern.

Doch auch gegen die Jäger der Bhils, einer Volksgruppe aus der Kaste der Unberührbaren, gehen Bishnoi vor: Wenn diese eine Gazelle schiessen, weil sie sie im Restaurant verkaufen wollen, um ihrer Familie zu ernähren, werden sie von Bishnois verfolgt.

Vorreiter in Sachen Umweltschutz

Zeichnung einer Szene mit Toten auf dem Boden sowie einem König auf einem weissen Pferd.
Legende: Darstellung des Massakers von 1730, bei dem 363 Bishnoi ihr Leben liessen. Wikemedia

Die Bishnoi wehren sich auch gegen das Fällen von Bäumen. Besonders heilig ist ihnen der Kheiri-Baum, dessen Blätter den Bishnoi als Viehfutter dient. Nach einer Legende wollte der Maharadscha von Jodphur im Jahr 1730 zahlreiche Kheiri-Bäume fällen, um einen Palast zu bauen. Die Bishnoi wehrten sich dagegen. Im Kampf verloren anschliessend 363 Bishnoi ihr Leben.

In einem gewissen Sinn sind die Bishnoi radikale Umweltschützer avant la lettre. Absolute Achtung vor Tieren ist ihnen religiöses Gebot. Für westliche Augen mag es irritieren, wenn sie Milch und Wasser durch ein Sieb passieren, bevor sie es trinken, damit Insekten und Bakterien gerettet werden. Aber was würden die Bishnoi zum Kühlregal in unserem Supermarkt sagen?

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