Nachdem bekannt wurde, dass einige Politiker und Bundesräte vorzeitig geimpft wurden, macht sich Unmut breit. Immerhin wären nach Plan erst Risikogruppen und Senioren an der Reihe. Ruth Baumann-Hölzle, Gesundheitsethikerin der Stiftung Dialog Ethik, erklärt, welche gesellschaftlichen Folgen dieses Verhalten nach sich zieht.
SRF: Die Kommission hat eine Impf-Reihenfolge festgelegt. Dennoch wurden nun vorzeitig einige Politikerinnen und Politiker geimpft. Ist das im Sinne der Impfstrategie?
Ruth Baumann Hölzle: Beim Bundesrat stellt sich die Frage: Was wäre die Begründung, dass man sie früher impfen würde? Dafür spräche die Systemrelevanz.
Man kann sagen, Bundesräte haben eine hohe Systemrelevanz in einer Krise. Das Problem ist aber: Wenn dies nicht in der Impfstrategie so festgelegt ist, welche Politikerinnen und Politiker bevorzugt werden könnten, weil sie systemrelevant sind, dann besteht die Gefahr der Beliebigkeit.
Man kann nicht selber Privilegien aufgrund des Amtes beanspruchen, wenn man sie nicht vorher in einer transparenten Strategie auch so festgelegt hat.
Könnte so bei der Bevölkerung der Eindruck entstehen, bei den Amts- und Würdenträgern wird ungerechtfertigt getrickst?
Die sogenannte Zugangsgerechtigkeit zu in diesem im Moment knappen Gut, der Impfung, braucht eine faire und transparente Verteilung. Besonders, weil Gesundheit ein öffentliches Gut ist.
Das heisst, man kann nicht für sich selber gewisse Privilegien aufgrund des Amtes beanspruchen, wenn man sie nicht vorher in einer transparenten Strategie auch so festgelegt hat.
Politikerinnen und Politiker haben eine Vorbildfunktion. Gefährdet solches Verhalten womöglich den gesellschaftlichen Zusammenhalt?
Natürlich ist das für die Stimmung und für das Klima in einer Gesellschaft sehr ungut. Gerade in einer Krise, in der von der Bevölkerung sehr viel verlangt wird. Im Moment braucht es die Konsequenz derjenigen, die von der Bevölkerung gewählt sind, dass diese sich regelkonform verhalten.
Es ist eine Frage der Planung und nicht eine Frage der Würdenträger.
Besonders in Deutschland ist die Debatte um sogenannte Impfdrängler entfacht. Die Begründung der frühzeitig Geimpften ist, dass Impfdosen übrig waren. Kann man das so gelten lassen?
Im Moment, wo eine Knappheit besteht, ist der Begriff «übrig» nicht angemessen. Wenn man vom knappen Gut etwas übrig hat, dann haben diejenigen zuerst Anspruch darauf, die in der Reihenfolge zuoberst stehen.
Muss man sich denn nun gut überlegen, wie man mit Impfresten vorgeht?
Bei einem knappen Gut gibt es eigentlich keine Reste. Es ist eine Frage der Planung und nicht eine Frage der Würdenträger.
Das Gespräch führte Katrin Becker.