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Gesellschaft & Religion Demokratie wohin – Wie viel Gefühl darf es sein?

Die direkte Demokratie ist ein hohes Gut. Es gilt, was die Mehrheit entscheidet. Dabei spielen nicht nur der Sachverstand eine Rolle, sondern auch die Gefühle. Und die sollten ernst genommen werden.

Immer wieder ist von Ängsten in der Schweizer Bevölkerung die Rede. Zuviel Europa, zuviel Globalisierung und zu viele Ausländer machen scheinbar das Leben eng. Unter anderem belegen das Meinungsumfragen und politische Analysen. Auch bei der Abstimmung zur Masseneinwanderung wurden die Ängste der Schweizerinnen und Schweizer ins Spiel gebracht. Ängste, die ernst genommen werden sollen.

Eine solche Diagnose sei schon schwierig genug bei einem einzelnen Patienten, findet der Zürcher Psychoanalytiker Berthold Rothschild. Ausserdem sieht er in diesem Zusammenhang keinen Anlass, von Angst vor den Fremden oder gar von Hass zu sprechen. Er spricht lieber von einer Gemütslage der Menschen. Eine Gemütslage, in der sich alle möglichen Gefühle finden, auch jene, die mit der Überforderung in der modernen Welt zu tun haben.

Gefühle gegen Sachverstand

«Demokratie wohin?»

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Folge 1: Die Grenzen des Populismus (Kontext am Montag, 3. März um 9 Uhr auf Radio SRF 2 Kultur)

Folge 3: Das Völkerrecht und der Volkswille (Kontext am Mittwoch, 5. März um 9 Uhr auf Radio SRF 2 Kultur)

Mit Ausnahme der SVP gab es einen Schulterschluss von Regierung und allen wichtigen Parteien in der Schweiz, sowie den Gewerkschaften und den Wirtschaftsverbänden gegen die Initiative. Sie alle hatten gute Argumente auf ihrer Seite. Argumente hatte auch die SVP, und hat sie mit emotionalisierenden Werbeplakaten untermauert. So hat sie es offenbar besser verstanden, die Mehrheit für sich zu gewinnen, auch wenn diese hauchdünn war.

Die SVP konnte «Ängste schüren». Dies sagten manche Vertreter der Parteien, die die Abstimmung verloren hatten. Wenn es so gewesen wäre, warum konnten die etablierten Parteien dann nicht andere Gefühle schüren? Sie überliessen dieses Feld komplett den Gegnern. Ein Vorwurf, den der Psychoanalytiker Berthold Rothschild abwehrt. Man dürfe Gefühle in der direkten Demokratie nicht programmatisch einsetzen. Auch die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum überzeugt ihn da nur beschränkt. Ihr Credo: «Urteile darüber, was uns wichtig ist, fällen wir wesentlich durch Emotionen.» Das stimmt, sagt der Psychoanalytiker, aber man dürfe diese Gefühle nicht instrumentalisieren.

Fallstricke der direkten Demokratie

«Warum fühlen wir uns manchmal nicht gut?», fragt Berthold Rothschild. Ist es die böse Mutter, der verständnislose Ehemann, die schwierigen Kinder, der Strommast vor dem Haus oder die Menge der Ausländer in der Schweiz? Hier würden Kausalitäten geschmiedet, die, so der Psychoanalytiker, auch in unserer direkten Demokratie gefährlich seien. Da müssten wir aufpassen. Es diene der Entlastung, wenn politische Kräfte definieren, warum wir uns schlecht fühlen. Man muss dann nicht im eigenen Unglück wühlen. Wenn alles Ungute auf bestimmte Personengruppen zurückgeführt wird, so kann das verheerende Auswirkungen haben. Das lehrt uns die Geschichte.

Die Annahme der Masseneinwanderunsinitiative solle nicht dramatisiert werden, findet Berthold Rothschild. Die Spielregeln wurden eingehalten, und wie es sich demokratisch zieme, solle man nun entsprechend handeln. Nur müsse man sich generell schon Gedanken machen, was dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden solle. Die Mehrheit könne sich auch irren.

So wie uns die Werbung ein Waschmittel verkauft, das ganz rational helfen soll die Wäsche zu reinigen, dabei aber auch noch verspricht, dass wir zum Beispiel mit jedem Waschgang jünger würden, so könnten uns werbetechnisch auch die politischen Kräfte aller Richtungen verführen. Der Psychoanalytiker setzt dagegen auf Erziehung und Bildung. In der direkten Demokratie müssen Menschen immer besser gerüstet sein, um Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu treffen. Dann sind sie auch weit weniger verführbar von Gefühlen, die ihnen, so Berthold Rothschild, von verschiedenen Interessengruppen «angeschmiegt» werden.

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