«Deutschlands ganze Tugend und Schönheit entfaltet sich erst im Kriege. Es wird freier und besser daraus hervorgehen, als es war.» Diese Sätze schrieb Thomas Mann, Autor der «Buddenbrooks», einige Wochen nach Kriegsausbruch im August 1914. Thomas Mann war einer von vielen Schriftstellern, die sich von der damals weit verbreiteten Kriegsbegeisterung mitreissen liessen.
Andere grosse Dichter wie Hugo von Hofmannsthal, Gerhart Hauptmann oder Rainer Maria Rilke taten es ihm gleich.
Die Kriegsbegeisterung der Schriftsteller war nicht auf das Deutsche Reich beschränkt. In allen kriegsführenden Ländern schien es in diesem Moment, dass sich politische und soziale Gräben schliessen würden. Die Nationen rückten hinter ihrer jeweiligen Staatsführung zusammen – auch die Intellektuellen.
Kritische Stimmen bleiben ungehört
Auch in den Staaten der Entente – in Russland, Grossbritannien und Frankreich – war die Zustimmung zum Waffengang allgemein. Grosse Teile der Bevölkerung befanden sich in einer ungeheuren nationalistischen Erregung.
Zwar gab es, vorab im linken Lager, auch mahnende Stimmen, die vor den Folgen des martialischen Säbelrasselns und den zu erwartenden Opfern warnten. Sie gingen hüben wie drüben im propagandistischen Getöse unter.
Kunstmetaphysik statt politischer Analyse
In den Zeitungen im Sommer und Herbst 1914 erschienen zu Hunderten und zu Tausenden Gedichte und Essays, die den Krieg verklärten. Während in den Entente-Mächten oft auch politische Argumente zu lesen waren, foutierten sich die deutschsprachigen Dichter weitgehend darum, etwa die tieferen Ursachen der Katastrophe zu analysieren: die gefährlichen Rivalitäten in den Kolonien, die Rolle der Geheimdiplomatie, die unheilvollen Militärbündnisse, die Aufrüstung.
Politik galt den deutschsprachigen Kriegstrommlern als zu profan. In Deutschland seien die vom Virus der Kriegsbegeisterung angesteckten Schriftsteller von einer für das Land typischen Kunstmetaphysik getrieben gewesen. Das sagt die an der Universität Zürich lehrende Germanistikprofessorin Sabine Schneider: «Viele Dichter bedienten sich des aus der Romantik stammenden Bildes von der ‹deutschen Tiefe›, die dem angeblich flachen französischen Rationalismus überlegen sei. Dieser hat kein Verständnis für Begriffe wie ‹Seele› oder ‹Kunst›.» Die deutschsprachigen Dichter hätten sich als Speerspitze einer mit dem Krieg einhergehenden geistigen Erneuerung Europas verstanden.
Frustration als Motiv
Oft habe hinter den kriegslüsternen literarischen Ergüssen jener Zeit jedoch auch eine bei den damaligen Literaten weit verbreitete tiefe Frustration gesteckt, sagt Sabine Schneider. Die Dichter hätten sich als nutzlos empfunden, ihre Stimme sei nicht mehr gehört worden. Der Krieg habe ihnen nun scheinbar die Gelegenheit geboten, nach einer Phase der «Kulturmüdigkeit» wieder Fuss zu fassen und in die Rolle einer geistigen Elite zu schlüpfen.
Besonders ausgeprägt war diese Vorstellung etwa beim Dramatiker, Lyriker und Librettisten Hugo von Hofmannsthal, der während des Kriegs im Propagandaministerium in Wien arbeitete. Er war überzeugt davon, statt mit Gewehr und Bajonett mit der Feder für die Sache des «grossen Sieges» kämpfen zu müssen.
Hofmannstahl habe sich selbst als Vertreter einer «geistigen Aristokratie» verstanden, erklärt Sabine Schneider. «In seinem Selbstverständnis war es die Aufgabe der Dichter, als ‹Soldat des Geistes› den nationalen Rausch und den vermeintlichen Aufbruch in eine bessere Zukunft zu beschwören.»
Die Umkehr
Die meisten Schriftsteller, die zwischen 1914 und 1918 für den Krieg trommelten, erkannten nach dem Krieg ihre Fehlleistung: Sie hatten das millionenfache Leid auf den Schlachtfeldern ausgeblendet und waren Teil der mörderischen Kriegsmaschinerie geworden. Viele zeigten öffentlich Reue und Scham.
Thomas Mann etwa bekannte sich in den 20er-Jahren zur Demokratie. Dies, nachdem er sich zunächst mit dem Abdanken des Kaisers und der Gründung der Weimarer Republik schwer getan hatte. Mann politisierte sich zunehmend – und nach 1930 wurde er gar zu einem der profiliertesten Gegner des Nationalsozialismus.
In der Nachkriegszeit wandte sich die deutsche Literatur ganz generell von allem Ideologischen ab: von Begriffen wie Seele, Geist, Kunst und Moral. Diese hatten sich während des Krieges als korrumpierbar erwiesen. Fortan verstanden sich die Literaten nicht mehr als «geistige Aristokraten» sondern als Zeitgenossen, deren Aufgabe es sei, sich zum Alltag der Menschen und zur konkreten gesellschaftlichen Realität zu äussern.