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Der 1. Weltkrieg «Im Westen nichts Neues»: Neuausgabe bringt Überraschendes zutage

Es war einer der grössten deutschen Bucherfolge des 20. Jahrhunderts: Erich Maria Remarques schonungslos naturalistischer Roman über den Kriegsalltag an der Westfront. Eine Neuausgabe zeigt nun, wie sehr der Autor auf Wunsch des Verlags kriegskritische Aussagen abmildern musste.

Wohl niemand liest den Bericht des 19-jährigen Paul Bäumer über seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, ohne von nacktem Entsetzen gepackt zu werden. Denn wie Erich Maria Remarque selbst wurde der Gymnasiast noch als halbes Kind in einem Krieg verheizt, der jeglicher Menschlichkeit zuwiderlief und ihm – und einer ganzen Generation – den Weg zurück ins zivile Leben versperrte.

Dabei hatte Remarque noch Glück. Er wurde im Juni 1917 an die Westfront geschickt und bereits Ende Juli schwer verwundet. Bis fast zum Kriegsende war er in einem Lazarett in Duisburg. Dort begann er an einem Text über den Krieg zu arbeiten. Was davon noch erhalten ist, kann man nun in der Neuausgabe von «Im Westen nichts Neues» nachlesen. Schon in diesem Text ist die Sinnlosigkeit dieses Krieges, der 8,5 Millionen Männern das Leben kosten und mehr als 21 Millionen teils bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln sollte, ein Thema.

Remarques Geheimnis

Erich Maria Remarque sitzt auf einer Bank in der Sonne, elegant gekleidet in Anzug und mit Schirm.
Legende: Erich Maria Remarque während seines Aufenthalts 1929 im Hotel Curhaus in Davos. Bundesarchiv, Bild 183-R04034 / CC-BY-SA

Remarque hatte die Arbeit an seinem Romanprojekt erst im Sommer 1927 wieder aufgenommen und mindestens drei handschriftliche Fassungen niedergeschrieben. Die Druckfassung von «Im Westen nichts Neues» unterscheidet sich aber wesentlich vom Schreibmaschinen-Typoskript, das Remarque zunächst dem S. Fischer Verlag und dann dem Ullstein-Konzern anbot. Dieser publizierte den Roman 1928 vorerst als Vorabdruck in der Vossischen Zeitung. Es bleibt Erich Maria Remarques Geheimnis, warum er dabei Hand zu weitgreifenden Textänderungen und biografischen Falschinformationen bot.

«Ein Buch ohne Tendenz»

Die Urfassung des Romans ist nämlich dezidiert pazifistisch und klar auf die Person Paul Bäumers, sein Denken und Erleben fokussiert: «Wir sind wie vergiftet. Nicht gaskrank, – kriegskrank sind wir! Man findet nicht ohne Knacks von hier einen Weg. Wir sind kaputt, irgendwo. Unsere Jugend ist gestorben, unsere Erziehung zersplittert, unser Glaube an Menschentum, Kultur und Fortschritt zerschossen.»

In einer bis dahin beispiellosen Werbekampagne verkaufte der Ullstein-Konzern Remarques in langer Arbeit konzipierten Roman jedoch als einen schnell von der Seele geschriebenen, apolitischen Frontbericht eines Jedermann, mithin also als das «erste wirkliche Denkmal des Unbekannten Soldaten». Von Bäumers beziehungsweise Remarques individuellen Erfahrungen ist also ebenso wenig die Rede wie von der literarischen Gestaltung des Stoffes. Vor allem aber wird dem Text jegliche politische Aussage abgesprochen: Es handle sich um «ein Buch ohne Tendenz».

Granaten sind überall aus Stahl

Remarque hat denn auch auf Bestreben seines Verlags hin alle Passagen gestrichen, die den Krieg explizit kritisierten oder Passagen hinzugefügt, die Zweifel an den Ursachen und am Sinn des Krieges relativierten. Stellen wie diese findet man im veröffentlichten Roman also nicht mehr:

Buchhinweis

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Erich Maria Remarque: «Im Westen nichts Neues». Kiepenheuer & Witsch, 2013.

«Weshalb soll wohl ein französischer Schuhmacher oder Schlosser Deutschland vernichten wollen? Glaubst du, dass er später auch nur einen Pfennig mehr Lohn erhält als vorher? Eher weniger! Granaten sind überall aus Stahl, und eine französische Haut ist ebenso dünn wie eine deutsche. Von hundert Menschen, die im Krieg sind, wollen neunundneunzig nichts dringender mehr als nach Hause.»

Eindringliches Dokument der Kriegsgräuel

«Im Westen nichts Neues» wurde wider Erwarten ein Verkaufserfolg. Der Konzern hatte Remarque eine Vertragsklausel unterschreiben lassen, die ihn im Fall eines Verlustgeschäfts verpflichtete, seine Schulden durch journalistische Artikel für die Ullstein-Blätter abzuarbeiten. 1930, als der Roman in Amerika verfilmt wurde, erreichte er bereits Millionenauflagen – und landete wenig später auf den Scheiterhaufen der Nazis. Remarque wurde als Nestbeschmutzer diffamiert, der die Ehre des deutschen Heeres beleidige. Er flüchtete im Januar 1933 in die Schweiz.

Liest man den Roman heute, auch mit dem historischen Wissen über den Ersten Weltkrieg, verblüfft, welche Bandbreite an Themen rund um diesen Krieg Remarque auffächert. Und aller Selbstzensur zum Trotz: «Im Westen nichts Neues» bleibt ein eindringliches literarisches Dokument der Kriegsgräuel und dessen, was sie mit dem Körper und der Seele des Menschen anrichten.

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