Überall in Europa erinnern noch heute Soldatenfriedhöfe und Kriegerdenkmäler an den Ersten Weltkrieg. Auch bei uns in der Schweiz. In Laufen etwa sind die Namen der im Aktivdienst an der Spanischen Grippe verstorbenen Soldaten aus der Region in Stein gemeisselt. Flankiert werden die Namenkolonnen von zwei Medaillons. Das eine zeigt eine Rotkreuzschwester, die einen leidenden Rekruten im Arm hält – eine sogenannte Pietà.
Dieses Bildmotiv ist der christlichen Kunst entlehnt: Dort ist es Maria mit dem sterbenden Christus im Arm. Hier wird also die Parallele vom Opfertod Christi zum Heldentod der Soldaten gezogen. So wurden Kriege und Kriegertum christlich legitimiert.
Heutige Armeeseelsorger nehmen ihre Aufgabe anders wahr
Christinnen und Christen von heute erscheint diese Gleichsetzung von Jesu Opfertod mit dem Opfer der Soldaten im Krieg als geradezu anstössig. Auch beim langjährigen Leiter der Schweizer Armeeseelsorge Pfarrer Christoph Sigrist lösen solche Inschriften auf Krieger-Denkmälern Gruseln aus. Er hat den Wandel vom «Feldprediger» zum «Armeeseelsorger» in der Schweiz selbst mitgeprägt. Für ihn ist klar, dass er nie für den Krieg predigen würde. Er sieht seine Aufgabe vielmehr in der Begleitung der Rekruten. Auch sein römisch-katholischer Kollege Thomas Markus Meier sieht sie nicht als «christlichen Soldaten», sondern als Schweizer Bürger in Uniform.
Erst in zweiter Linie setzen die heutigen Theologen der Armee auch christlich-ethische Massstäbe, etwa wenn es um den zwischenmenschlichen Umgang und um die Zielsetzung geht: Selbstverteidigung. Die Armeeseelsorge sieht sich auch im Einklang mit der neutralen und humanitären Politik der Eidgenossenschaft, die zuerst und nachhaltig auf Diplomatie und Mediation setzt. Ausserdem sei die Armee die einsame Chance, junge Männer von heute überhaupt in Kontakt mit der Kirche zu bringen.
Krieg als «ultima ratio» – als allerletzte Option
In christlicher Tradition könnte man sich auch auf die «ultima ratio» berufen, also darauf, dass eine gewaltsame Intervention die allerletzte Option in einem Konflikt sein sollte. Bereits die Reformatoren formulierten, dass ein sogenannter «christlicher Krieg» nur ein Defensiv-Krieg sein könne, also allein der Selbst-Verteidigung dienen dürfe.
Während sich die Kirchen Europas in den beiden Weltkriegen mehrheitlich nationaltreu verhielten und zu Opferbereitschaft aufriefen, stehen die Kirchen heute mehrheitlich für Frieden ein und lehnen Krieg als Mittel der Konfliktlösung ab. Viele haben sich die Haltung der historischen Friedenskirchen der Täufer und Mennoniten zu eigen gemacht, die für ihre kompromisslos gewaltfreie Haltung über Jahrhunderte von der Mehrheit verfolgt oder abgestraft wurden. Auch aus der nachreformatorischen Schweiz wurden sie teils mit Gewalt vertrieben.
Die pazifistische Kehrtwende in der Theologie
Zum ethischen Umdenken in den Kirchen West-Europas haben erst die Katastrophen der beiden grossen Weltkriege beigetragen. Sie erschütterten auch den Glauben der Soldaten und ihrer Angehörigen.
Für die pazifistische Haltung kann aber auch Sankt Martin als Vorbild dienen. Der historische Martin war Soldat im römischen Heer, weigerte sich dann aber, Gewalt gegen Christen auszuüben. Die bekannte Szene, wie Martin seinen Mantel mit dem Schwert teilte und mit dem Stoff einen Armen kleidete, diese Szene lässt sich als Kriegsdienstverweigerung deuten. Beim Mantel handelte es sich nämlich um den Soldatenmantel, den Martin demonstrativ zerstörte. Seine Waffe, das Schwert setzte er fortan nicht mehr zum Töten ein, sondern in karitativer Absicht. Martin war also auch ein «christlicher Soldat», der aber mit den Waffen der Liebe und gegen Gewalt kämpfte.