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Gesellschaft & Religion Der amerikanische Traum gilt nicht für jede Hautfarbe

In einem leidenschaftlichen Manifest vertritt der amerikanische Journalist Ta-Nehisi Coates die These, die USA sei immer noch zweigeteilt in eine schwarze und eine weisse Welt. Als Beleg dient ihm die Geschichte seiner eigenen Jugend im Baltimore der 1980er-Jahre.

Ta-Nehisi Coates hat einen Adressaten für seine Gedanken: seinen 14-jährigen Sohn. Dies hat viele Gründe, die sich nach und nach in der Lektüre erschliessen: Coates nimmt die Geschichte seiner eigenen Jugend als Beleg dafür, dass man als schwarzer Jugendlicher in den 1980er-Jahren die Angst um das eigene Leben als ständigen Begleiter hatte.

Auch unter Obama

Buchhinweis

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Ta-Nehisi Coates: «Zwischen mir und der Welt», Hanser, 2015.

Die schwarze Hautfarbe allein, so erlebte es Coates, zöge eine Aggression auf sich. Sie beginne bei abfälligen Blicken und Kommentaren und ende dort, wo der Mord an Schwarzen oft keine nennenswerten Konsequenzen für die Täter habe. Der Schutz durch ein gutes Elternhaus und Bildung helfe da gar nichts, schreibt Coates: Als Schwarzer sei man unwiderruflich dem Gesetz der Strasse unterworfen.

Es war die gehäufte tödliche Polizistengewalt im Jahr 2015, die Anlass für Coates` These war. Auch in Zeiten eines schwarzen Präsidenten, meint er, habe sich an der grundsätzlichen Wahrheit nichts verändert: Die eine Hälfte der Bevölkerung geniesse den amerikanischen Traum oder dürfe ihn anstreben, während die andere Hälfte für ihn schufte. Darüber hat er sogar mit dem Präsidenten gestritten, dessen optimistischen Blick er nicht teilt.

Ta-Nehisi Coates, Porträtbild nah, er trägt ein blaues Jacket.
Legende: Gibt seinem Sohn die eigenen Erinnerungen in Baltimore weiter: Ta-Nehisi Coates (September 2015). Wikimedia / John D. & Catherine T. MacArthur Foundation

Gleichheit nicht vorgesehen

Coates Bezugspunkt ist dann auch weniger Barack Obama als James Baldwin, jener berühmte schwarze Autor, der in einem Brief an seinen Neffen seinen düsteren Blick auf eine rassistisch organisierte Gesellschaft ausführt. Coates schliesst an Baldwin an: Er sieht durch die jüngsten Polizeimorde seine Sicht bestätigt, dass das Prinzip der Ungleichheit schon in der amerikanischen Verfassung verankert ist.

Gelernter Selbsthass

Aus Erinnerungen an die eigene Jugend in Baltimore leitet Coates seine Gedanken zu frühen Lektionen des Selbsthasses und der Herabwürdigung des eigenen schwarzen Körpers ab. Für schwarze Kinder sei «Schule nicht als Ort der Bildung (vorgesehen), sondern als Chance, Tod und Massenverwahrung zu entgehen», schreibt Coates. Nicht weniger als 60 Prozent aller schwarzen jungen Männer ohne Highschool-Abschluss landen im Gefängnis. «Dies sollte das Land beschämen», folgert der Journalist, «doch das tut es nicht.»

Sein grosses Vorbild Malcolm X, vor allem aber die Studienumgebung an der schwarzen Howard Universität ermöglichten ihm als Erwachsenem erstmalig, sich unter seinesgleichen sicher zu fühlen. Auch nahm er erstmals überhaupt Distanz ein zur selbstverständlichen Erfahrung, immer zweitklassig und immer gefährdet zu sein. Wenn die Antriebskräfte von Ta-Nehisi Coates` Buch Wut und Pathos sind, drückt sich darin eben aus, was sich durch sein ganzes 40-jähriges Leben angestaut hat und zu einer «unbestimmten Trauer» geworden war, wie er sagt.

Es hat sich nicht geändert

Spätestens seit ein guter Freund auf dem Weg zu seiner Freundin hinterrücks von einem Polizisten erschossen wurde, der ihn – aus nicht nachvollziehbaren Gründen – verwechselte, sieht sich Coates in all seinen Befürchtungen bestätigt: «Wieso waren nur unsere Helden gewaltlos?», hadert er mit der Idealisierung von Martin Luther King und der Bürgerrechtsbewegung.

Hier setzt Coates` Angst um den eigenen Sohn an, der – vordergründig – in einer viel besseren Zeit gross wird. Aber letztendlich möglicherweise immer noch jener Gewalt der Strasse zum Opfer fallen kann, die tiefer wurzelt als alle politischen Errungenschaften.

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