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Der Krieg spaltet die Kirchen Der russische Patriarch Kyrill – ein Ketzer?

Dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. laufen die ukrainischen Gläubigen davon. Grund dafür ist Kyrills Unterstützung Putins im Krieg. Manche werfen Kyrill gar Ketzerei vor.

Einst gehörten 12'000 Pfarreien, viele Klöster und Regionalbischöfe aus der Ukraine zum Moskauer Patriarchat. Seit Kriegsausbruch seien schon rund 400 Pfarreien gleichsam «übergelaufen» zum Kiewer Patriarchat.

Ihr Flehen nach Moskau, Patriarch Kyrill solle auf Putin einwirken und den Krieg sofort stoppen, fand kein Gehör. Im Gegenteil: Kyrill machte den Krieg zur heiligen Sache.

Ein Bruch mit den Geboten

Für die angegriffenen Gläubigen in der Ukraine ist das geradezu obszön. Sie werfen Patriarch Kyrill I. vor, mit der Segnung von Putins Kriegern das Gebot «Du sollst nicht töten» zu missachten. An einem ukrainischen «Landeskonzil» Ende Mai beschloss jetzt die Mehrheit, Kyrill die Loyalität aufzukünden und sich unabhängig zu machen.

Der russische Patriarch steht schon seit langem in der Kritik, die orthodoxe Lehre zu missachten. Und zwar, weil er Putins Ideologie von «der russischen Welt» theologisch legitimiert. Demnach würde die Ukraine als Ganze seit jeher zu Russland gehören. Die Kiewer Rus gilt als Wiege des Christentum für die ganze Region.

Der Patriarch Onufri von der Ukrainisch-orthodoxen Kirche in einer Menschenmenge.
Legende: Nicht länger moskautreu: Der Patriarch Onufri von der ukrainisch-orthodoxen Kirche stellt sich gegen den russischen Patriarchen Kyrill. Reuters

Droht Kyrill nun eine Klage?

Orthodoxe Theologen ausserhalb Russlands verurteilen die Lehre von «der russischen Welt» als unorthodox. Einige Theologen bereiten sogar eine Anklage vor dem orthodoxen Kirchengericht wegen Ketzerei vor. Da würden dann die ältesten Patriarchate der Ostkirche über den Moskauer Kollegen richten.

Vorsitzender Richter wäre ausgerechnet der Machtkonkurrent Kyrills, der Primus der orthodoxen Kirchen, seine Allheiligkeit, der ökumenische Patriarch von Konstantinopel Bartholomaios I.

Bartholomeos I. vor einer schmucken Wand.
Legende: Bartholomeos I. verurteilte die russische Invasion und kritisierte den russischen Patriarchen für dessen Haltung zum Krieg. IMAGO / epd

Ein weiterer Anklagepunkte könnte sein, dass Kyrill seinem Auftrag als Bischof nicht gerecht werde. Denn dazu gehört, für alle Gläubigen in seinem Bischofsgebiet gut zu sorgen.

Hoffnung auf Kyrills Kurswechsel

In den Augen von Kyrills Kritikern ist es bizarr, dass der Moskauer Patriarch gleichsam das Töten seiner eigenen Kirchenmitglieder unterstütze.

Derweil bleibt die von Moskau gelöste Kirche in der Ukraine erstmal selbständig. Einige hoffen auf Versöhnung und auf einen Kurswechsel Kyrills. Vielleicht kommt es doch noch zu einer kirchlichen Palastrevolution in Moskau. Denn dort finden auch nicht alle richtig, was Kyrill vertritt.

Andere wenden sich zum Kiewer Patriarchat, was die ukrainisch-orthodoxe Nationalkirche weiter stärkt. Internationale Auswirkungen hat der inner-orthodoxe Konflikt schon jetzt. Er belastet die Ökumene.

Auch international regt sich Widerstand

Dem Beispiel der abtrünnigen ukrainischen Kirche könnten weitere russische Pfarreien im Ausland folgen. Offene Kritik an Kyrills Kriegsunterstützung wagte am Wochenende auch Metropolit Mark in München. Er ist Chef der russisch-orthodoxen Gemeinden in Deutschland und Dänemark.

Mark verurteilte den Krieg als «Verbrechen» und fordert den vollständigen Rückzug Russlands. Damit widerspricht er seinem Patriarchen Kyrill I. diametral.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 01.06.2022, 8:15 Uhr

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