Gäbe es ein gewisses schwedisches Möbelkaufhaus nicht, wäre Mittsommer in der Schweiz wohl gänzlich unbekannt. Zwar wird auch an Schweizer Schulen Shakespeares «A Midsummer Night’s Dream» gelesen. Der britische Dichterfürst machte die Mittsommernacht – im Deutschen verkürzt mit «Sommernacht» übersetzt – zum Titel seiner Komödie. Das lässt auf eine gewisse Bedeutung des Datums schliessen. Dennoch ist Mittsommer hierzulande etwas Exotisches.
Früher wie heute war die Sommersonnenwende ein wichtiges Fest in Nordeuropa, aber auch in keltisch besiedelten Regionen wie Irland. Mittsommer ist der längste Tag eines Jahres.
Die Sonne geht dann ganz früh auf und erst spätabends unter. In manchen Teilen der Erde strahlt sie fast 24 Stunden lang. Legendär sind die «weissen Nächte» vom Nordkap, von St. Petersburg oder Helsinki.
Missionare verbieten Vielgötterei
Für Kelten und Germanen stand gleichermassen fest: Die langen Sonnenstunden haben etwas Göttliches. Sie feierten an Mittsommer kultische Rituale. Das wurde für die christlichen Missionare zu einer Herausforderung, als sie im 10. Jahrhundert nach Skandinavien reisten.
Wie so oft in der Geschichte gingen die Missionare taktisch vor. Sie tauften Heiden, brachten ihnen die christliche Heilslehre bei – und bauten mit vertrauten Elementen eine Brücke zum neuen Glauben.
Die Missionare verboten etwa die germanische Vielgötterei mit Odin, Thor, Freya und vielen anderen Göttern. Die Mittsommernacht erlaubten sie aber weiterhin.
Aus Mittsommer wird «Sommerweihnachten»
Die Mittsommernacht erhielt ein christliches Image. Praktischerweise bot sich der Heilige Johannes der Täufer an, dessen Geburt am 24. Juni gefeiert wird.
Aus der nordischen Mittsommernacht wurde die christliche Johannisnacht, die es andernorts in Europa längst gab. Feuer und Fackeln blieben im Norden erhalten, aber christlich umgedeutet: Sie standen fortan für Christus, das Licht der Welt.
Messe um Mitternacht
Johannes gilt als Wegbereiter von Christus. Er hat ihn nicht nur getauft, sondern als Gottes Sohn angekündigt. Ohne den Propheten Johannes, so die damalige Logik, hätte Weihnachten keinen Sinn ergeben.
Deswegen hiess das Johannisfest im Mittelalter auch «Sommerweihnachten». Gefeiert wurde es am 24. Juni, genau ein halbes Jahr vor Weihnachten. Dieses «Sommerweihnachten» wurde mit einer Messe um Mitternacht gefeiert, ähnlich wie die Christmette am Heiligen Abend.
Hitler: Germanisches statt Christentum
Im Laufe der Jahrhunderte sind viele Feiertage verschwunden. Die Johannisnacht verlor an Bedeutung. Eine Renaissance hatte der germanisch-mythologische Mittsommer während des Nationalsozialismus.
Hitler sah die christlichen Kirchen als Feind an und wollte – so seine krude, völkische und rassistische Vorstellung – die «Arier» zu ihren germanischen Wurzeln zurückführen.
Exzessive Party bis zur Flugverspätung
Heute feiern Menschen auch ausserhalb Skandinaviens Mittsommer. Mit Blumenkränzen, üppigem Essen, Tanz und Gesang. Überhaupt ist alles Skandinavische ziemlich «hygge»: sehr gemütlich. Und daher im Trend.
Weltweit verbreiteter ist aber das Johannis-Feuer, das in vielen christlich geprägten Ländern in der Nacht vom 23. zum 24. Juli angezündet wird.
In Lateinamerika wird die Johannisnacht manchmal so exzessiv gefeiert, dass der Rauch der Flugsicherung die Sicht versperrt. Dann führt das Johannisfeuer ungewollt zu Flugverspätungen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 25.06.2017, 8:30 Uhr