Es ist ein deutlicher Entscheid – und ein starkes Signal: 79 Prozent im Vorstand des Pfadfinderverbandes Boy Scouts of Amercia finden, dass ab sofort auch Schwule als Betreuer und Teamleiter tätig sein dürfen. Eine bürgerliche Bewegung mit 2,4 Millionen Jugendlichen setzt damit ein Zeichen gegen Diskriminierung – dies nachdem die Organisation bereits seit 2013 Homosexuelle als Mitglieder zulässt.
Kommen die zunehmenden Rechte der Homosexuellen in den USA einer Revolution gleich?
Sacha Verna: Revolution ist vielleicht etwas übertrieben, aber es ist ganz klar, dass hier in den letzten zehn Jahren ein Umdenken stattgefunden hat. Die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe und die Integration von Homosexuellen in eine so bürgerliche Institution wie die der Pfadfinder sind Reaktionen auf den Druck der Öffentlichkeit, den diese auf Gesetzgeber und private Institutionen ausübt.
Kritische Stimmen bleiben, gerade auch bei den Pfadfindern. Die mormonische Kirche droht damit, ihre Einheiten von der nationalen Organisation abzuspalten. Wie einflussreich ist die Opposition?
Die Opposition religiöser Organisationen ist nicht zu unterschätzen. Die Mormonen stellen 17 Prozent der 2,4 Millionen amerikanischen Pfadfinder, die Methodisten 14 und die Katholiken 10 Prozent. Dass dieselben Organisationen auch von der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe nicht begeistert sind, versteht sich von selbst. Trotzdem beruhen all die Schritte zur Gleichberechtigung Homosexueller in den USA im Grunde auf reinem Pragmatismus, der sich durchsetzen wird.
Pragmatismus inwiefern?
Robert Gates, der Präsident der Pfadfinder, der die Zulassung möglich gemacht hat, war bis 2011 US-Verteidigungsminister. In dieser Funktion hatte er bereits zur Abschaffung des sogenannten «Don’t ask, don’t tell» beim Militär gedrängt. Dies war die offizielle Regel, wonach Homosexuelle nicht im amerikanischen Militär dienen durften. Jeder, der sich zur Homosexualität bekannte, wurde sofort entlassen.
Das heisst, es gab beim Militär offiziell nie Homosexuelle?
Genau, solange die Soldaten ihre sexuellen Neigungen geheim hielten, fragte niemand danach, eben: «Don’t ask, don’t tell». Aber wenn man sich dazu bekannte, war’s fertig mit der militärischen Karriere. Diese Regel hat Robert Gates 2011 gekippt. Nicht, weil Gates ein besonderer Freund der Homosexuellen ist, sondern weil er eingesehen hat, dass sich gerade auch traditionelle Institutionen wie das Militär oder die Pfadfinder gesellschaftlichen Veränderungen nicht entziehen können.
Oder um es konkret zu sagen: Je länger sich solche Organisationen gegen Veränderungen wehren, desto weniger werden sie unterstützt – auch finanziell. Und desto rapider nimmt die Zahl der Mitglieder ab. Gates hat also den Fortschritt als Überlebensstrategie benutzt, und das werden auch andere Pragmatiker tun.
Welche Veränderungen stehen denn in den USA noch an?
Die Vereinigten Staaten sind ja nicht gerade als Turbo-Erneuerer bekannt, was gesellschaftliche Mechanismen angeht. Man muss bedenken: Es ist erst knapp 50 Jahre her, seit die USA die Rassentrennung abgeschafft hat und gemischtrassige Ehen zuliess. Das gilt heute als selbstverständlich, aber das heisst noch lange nicht, dass der Rassismus verschwunden ist. Das Gleiche gilt für Homosexuelle. Auf Gesetzes- und Institutionsebene wird ihre Gleichberechtigung zur Norm werden, doch bis auch die letzten homophoben Bastionen fallen, und die Diskriminierung auf allen Ebenen gefallen ist, wird man noch sehr lange warten müssen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 4.8.2015, 16:50 Uhr