«Ich könnte mir vorstellen, dass jemand stolz ist, ein Coronasünder zu sein», vermutet die Schriftstellerin Felicitas Hoppe in der ersten Folge von «Coronas Wörter», der virtuellen Videodialog-Serie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Hoppe diskutiert mit Valentin Groebner, einem Mittelalterhistoriker von der Universität Luzern, über das neue Wort «Coronasünder». Und das ist Hoppe zufolge auch augenzwinkernd gemeint und hat deshalb keine besonders abschreckende Wirkung.
«Es wäre ja etwas anderes, wenn jemand zur ‹Coronabeichte› oder zur ‹Coronabusse› aufrufen würde», bestätigt der Historiker Groebner. «Weil dann schon klar wäre, dass es vielleicht auch um Konsequenzen ginge.»
«Sogar Jäger meinen, sie seien systemrelevant»
«Coronasünder» und «Coronaparty» sind zwei Beispiele dafür, dass neue Wörter als Reaktion auf die Pandemie Einzug in die deutsche Sprache gehalten haben. Das Adjektiv «systemrelevant», bis 2019 noch gar nicht im Duden, wird erst jetzt aufgenommen.
Allerdings tauchte es schon während der Finanzkrise 2008 auf. Darauf verweisen der Schriftsteller Ingo Schulze und der Sprachwissenschaftler Jürgen Schiewe in der zweiten Folge von «Coronas Wörter» .
Schiewe hat beobachtet, dass mittlerweile fast alle systemrelevant sein wollen. «Sogar die Jäger sind der Meinung, dass die Jagd systemrelevant sei, weil damit die Bevölkerung mit Wildfleisch versorgt wird», sagt er. Das trage zu einer «totalen Verwässerung» des Begriffs «systemrelevant» bei.
Relevant für den Menschen
Das Nachdenken darüber, was systemrelevant ist, hat Ingo Schulze zufolge einen sehr positiven Effekt: Plötzlich würden Menschen sichtbar, die man allzu oft vergisst.
Schulze denkt da an diejenigen, «die die Drecksarbeit machen und nicht einfach ins Homeoffice gehen können.» Sie seien dem Virus viel stärker ausgesetzt, weil sie zum Beispiel in Schlachthöfen arbeiten und aus Geldmangel den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Man sollte, sind sich Schulze und Schiewe einig, nicht fragen, was relevant für das System, sondern was relevant für den Menschen ist.
Einige Fachbegriffe wie «Herdenimmunität» sind durch die Pandemie allgemeinsprachlich geworden. Andere Wörter haben einen Bedeutungswandel erfahren. Oder aber eine bereits existierende Bedeutung ist durch Corona plötzlich populär geworden, wie beim Wort «Gesichtsmaske».
Masken, so weit das Auge reicht
Darüber haben sich der Rechtshistoriker Michael Stolleis und die Autorin Ursula Krechel in der dritten Folge Gedanken gemacht. «Wenn man mich Weihnachten noch gefragt hätte ‹Was ist eine Gesichtsmaske?›, dann wäre ich ins kosmetische Feld gegangen», erzählt Krechel und nennt die Kräutermaske und Feuchtigkeitsmaske.
Der Historiker Stolleis erinnert daran, dass es auch schon früher, in ganz anderem Kontext, einen Maskenzwang gab. Bei grossen Maskenbällen habe der Fürst verboten, die Maske abzusetzen. «Bis ein bestimmtes Zeichen gegeben wurde», erklärt Stolleis. «Dann fielen die Masken.»
Basel und das Vermummungsverbot
Die Video-Serie «Coronas Wörter» ist geist- und lehrreich. Sie regt an, nicht nur über Sprache, sondern auch über unsere Gesellschaft, ihre Form und ihre Regeln nachzudenken.
Michael Stolleis ist sich sicher: Nach dem Ende der Pandemie werden wir beim alten Rechtssystem bleiben. Im Gesetz sei auch eine Ausnahme für Volksfeste vorgesehen, verrät Stolleis: «Die Basler Fasnacht oder die Alemannische Fassenacht fällt nicht unter das Vermummungsverbot.»