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Gesellschaft & Religion Die alten Eidgenossen: Wenn Mythos und Geschichte verschmelzen

Tell, Rütlischwur, Morgarten, Winkelrieds Opfertod bei Sempach – die frühe Schweizer Geschichte ist voll von Mythen. In seinem Buch «Von Morgarten bis Marignano» trennt der Historiker Bruno Meier die Mythen von der Wirklichkeit. Mythen, die wichtig waren, aber letztlich historisch unwahr sind.

Es gibt bereits zahlreiche historische Untersuchungen, welche die traditionelle Geschichtsschreibung zur Frühzeit der Eidgenossenschaft als mythologisch entlarvt haben. Was hat Sie motiviert, zum selben Thema auch noch ein Buch zu schreiben?

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Legende: Keystone

Der Historiker und Verleger Bruno Meier ist 1962 geboren und lebt in Baden. Er hat mehrere Bücher zur Schweizer Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit veröffentlicht.

Bruno Meier: Tatsächlich hat die Forschung die Zeit vom 13. Jahrhundert bis Marignano (1515) bereits ausgiebig erforscht, analysiert und die mythologische Geschichtsschreibung demontiert. Diese Forschungsergebnisse sind jedoch von der breiten Bevölkerung bisher nur wenig zur Kenntnis genommen worden. Mein Ziel ist es, die Erkenntnisse besser zu vermitteln.

Das heisst, Sie möchten die Mythen von Tell, Rütli und Winkelried endlich breitenwirksam zerschmettern und damit vollenden, was Ihren Vorgängern nicht gelungen ist?

Nein, keineswegs. Es geht darum, Geschichte und Mythos scharf zu trennen. Die Mythen spielten in der Frühzeit der Eidgenossenschaft eine wichtige Rolle: Sie dienten dazu, den Bund nach innen zu festigen und nach aussen gegen fremde Mächte zu legitimieren. So gesehen gehört auch der Mythos zu unserer Geschichte. Darüber hinaus gilt es jedoch aufzuzeigen, dass die tatsächliche Entstehung der Eidgenossenschaft ein langwieriger Prozess war, der rund 200 Jahre dauerte. Zudem verlief er keineswegs linear, wie uns dies die Mythen glauben machen möchten.

Sie erzählen die Geschichte der Eidgenossenschaft im Spätmittelalter gewissermassen von innen heraus. Sie zitieren insbesondere lange Passagen aus dem Chronicon Helveticum des Glarners Aegidius Tschudi. Weshalb diese Chronik?

Tschudis Werk aus dem 16. Jahrhundert ist die erste umfassende Darstellung der mythologisch aufgeladenen Befreiungsgeschichte. Tschudi versuchte, ein lineares und abgerundetes Bild von der Entstehung der Eidgenossenschaft zu zeichnen und beeinflusste die Geschichtsschreibung lange Zeit nachhaltig. Mit den tatsächlichen Vorgängen hatte diese Darstellung jedoch nur zum Teil zu tun.

Wie erklären Sie es sich, dass sich die Mythen in den Köpfen der Menschen bis heute halten?

Die Geschichten, wie sie schon Tschudi erzählte und danach von vielen anderen übernommen wurden, sind längst Teil der Schweizer Volkskultur geworden. Zudem sind die einzelnen mythologischen Geschichten oft eng verknüpft mit später inszenierten Orten wie der Hohlen Gasse oder dem Rütli. Diese sind zu Erinnerungsorten geworden und spielen in der Schweiz bis heute eine grosse Rolle für die Identität und das Gefühl der Zusammengehörigkeit.

In Ihrem Buch nehmen die Mythen, wie sie lange Zeit auch den Geschichtsunterricht an den Schulen prägten, einen breiten Platz ein. Auf dem Bekannten aufbauend konfrontieren Sie die Leserschaft in einem zweiten Schritt mit den Ergebnissen der Geschichtswissenschaft. Sind Sie ein Didaktiker?

Buchhinweis

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Bruno Meier: «Von Morgarten bis Marignano. Was wir über die Entstehung der Eidgenossenschaft wissen», Hier und Jetzt, 2015.

Mag sein. Auf jeden Fall möchte ich die Leserinnen und Leser erreichen. Durch das im Buch gewählte Verfahren werden sich interessierte Laien möglicherweise an ihr Schulwissen erinnern und auf diesem Weg an die Erkenntnisse der Wissenschaft andocken können, die ich in meinem Buch präsentiere. Letztlich möchte ich im Jubiläumsjahr 2015 die Menschen anregen, weniger darüber nachzudenken, was zum Beispiel in Morgarten vor 700 Jahren im Detail geschehen ist, sondern sich zu fragen, was die Wirkung der Geschehnisse war, welche Tradition daraus entstanden ist und was daran heute für uns noch wichtig ist.

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